Error icon

Keine Berechtigung! Sie werden zum Login weitergeleitet...

Wavac HE-4304

Text von: Roland Kraft

Wavac baut die schönsten und ungewöhnlichsten Röhrenverstärker der Welt. Ein kleiner Ausflug in den Olymp der Röhrentechnik.

Ich weiß ja nicht, wie Ihnen das so geht. Mit den Röhren, meine ich. Mir jedenfalls gefällt es auch, einem Röhrenverstärker sozusagen beim „Laufen“ zuzugucken. Das schöne Glühen. Die aufsteigende Wärme. Und vielleicht ein klitzekleiner Trafobrumm? Das hat einfach was. Man glaubt förmlich, die Verstärkungsarbeit wirklich sehen zu können. Ja, ja – schon gut. Ich weiß ja selber, dass das alles Röhren-Romantik ist. Aber trotzdem: Röhrenamps sind einfach schöner als schwarze Kisten mit scharfkantigen Kühlrippen. Und sie machen schlicht viel mehr Spaß. Es ist ein bisschen so wie der Unterschied zwischen einer modernen, aber halt langweiligen Elektrolok und einer alten Dampflokomotive. Nur dass die Dampflok – in unserem Fall – auch jetzt noch sehr viel mehr als nur konkurrenzfähige Performance abliefert …

Also zugegeben: Die Optik eines Röhrenverstärkers spielt natürlich eine riesengroße Rolle. Wer mit Röhren baut und alles in einem geschlossenen Gehäuse versteckt, der hat von seiner Zielgruppe keine Ahnung. Röhrenfans wollen Röhren sehen. Je mehr, desto besser. So einfach ist das. Ob das mit ein Grund für die Popularität alter, direkt geheizter Röhrentypen ist? Ja, natürlich. Denn die tragen ihre leuchtenden Heizfäden meist gut sichtbar zur Schau, während in moderneren Röhren die Heizung ja isoliert in den so genannten Kathodenröhrchen steckt („indirekte Heizung“). Die Barium­oxyd-Beschichtung dieses Nickelröhrchens – sie ist nur zwischen 30 und 60 Tausendstel Millimeter dick – emittiert die Elektronen unsichtbar. Dann lugt nur noch feine Rotglut heraus, normalerweise mittig ganz oben im Glaskolben, dort, wo eine Glimmerplatte als Halter für das System dient. Dabei erreicht die Kathode selbst ungefähr 700 Grad, was als geringe Heiztemperatur gilt. Die erwähnten Beschichtungen und die im Laufe der Zeit entwickelten verschiedenen Formen von Kathoden stellten eines der größten Probleme in der Röhrentechnik dar. Der tiefere Grund für die Notwendigkeit einer indirekten Röhrenheizung lag übrigens beim Stromnetz.

Abgesehen von einigen wenigen untaugliche Versuchen, ein Gleichspannungsnetz aufzubauen – sogar der berühmte T. A. Edison lag diesbezüglich lange und hartnäckig falsch – setzte sich schließlich weltweit die Versorgung der Haushalte mit Wechselspannung durch. Der Grund ist einfach: Wechselspannung lässt sich viel einfacher über weite Strecken transportieren, sie kann beliebig herauf- und heruntertransformiert werden, etwa um Spannungsverluste in den Leitungen auszugleichen oder Verbraucher anzupassen. Nicht nur für die frühe, direkt geheizte Rundfunk-Röhrentechnik waren die neuen Stromanschlüsse in den Haushalten höchst willkommen, kam man doch endlich von den unseligen Heiz- und Anodenbatterien weg. Andererseits erwies sich die Wechselspannung für die Röhrenheizung als höchst ärgerlich, waren die dadurch in die Kathode eingebrachten Brummstörungen doch kaum wirksam zu bekämpfen und somit in den Radios und Verstärkern unüberhörbar. Gleichrichterröhren sind zwar imstande, die Anoden mit Gleichspannung zu beliefern, es wäre aber damals mangels entsprechender Technik viel zu aufwendig gewesen, auch die viel mehr Strom konsumierenden Heizungen mit Gleichspannung zu versorgen. Einziger Ausweg aus dem Brumm-Dilemma: die indirekte, vom Heizfaden elektrisch isolierte Heizung, die ohne weiteres mit Wechselspannung ausreichend gut funktioniert. In der High-End-Röhrentechnik strebt man allerdings nach optimalen Fremdspannungsabständen, weshalb hier, insbesondere in Vorstufen, natürlich ausnahmslos mit Gleichspannung geheizt wird. Aber heutzutage fällt selbst die Versorgung stromhungriger Kathoden – je nach Röhre können das einige Ampere sein, bei Großröhren noch sehr viel mehr – relativ leicht. Leistungsfähige, kompakte Silizium-Gleichrichter, bisweilen sogar im Teamwork mit integrierten Reglern, beliefern sogar dicke Trioden wie etwa die 845 lässig mit mehr als drei Ampere Gleichstrom. In Bezug auf wassergekühlte Groß-Senderöhren verdienen röhrentechnische Kleinigkeiten wie eine 845 aber nicht mehr, überhaupt erwähnt zu werden – Heizströme von an die 2000 Ampere sind da völlig normal.

„Made in England“ beschriftet, dürften die ITT-gestempelten und mit CV-Katalognummern versehenen Röhren die so ziemlich letzten 4304 sein, die seit dem Start in den 30er Jahren gefertigt wurden

Röhren wie die 845 und übrigens auch eine Röhre namens 4304, die gleich noch zur „Hauptperson“ unserer Geschichte werden wird, sind direkt geheizte Trioden, die aber im Gegensatz zu den üblicherweise für Verstärkerzwecke benutzten Röhren mit so genannten Wolfram-Fäden ausgestattet sind. Röhrenfreaks kennen ja das charakteristisch helle Glühen der 845, die früher eigentlich für Senderzwecke erdacht wurde und deshalb einen Wolfram-Heizfaden (der ja bei direkter Heizung auch gleich die Kathode darstellt) mit Thorium-Überzug besitzt. Da es die Elektronen bei solchen Fäden schwerer haben, aus dem Material auszutreten, man spricht dabei von der „Austrittsarbeit“, müssen diese Drähte stark erhitzt werden; die Temperatur dafür liegt etwa bei ungefähr 1500 Grad und erzeugt die hellgelbe Glut in solchen Röhren. Auch die in der Wavac HE-4304 verwendete 30er-Jahre-Sendetriode vom Typ ITT 4304 glüht so hell wie eine schwache Glühlampe und lässt den großen Wavac-Amp im Betrieb unheimlich schön wirken.

Schaden Platinen dem guten Klang? Nein, natürlich ebenso wenig wie feine Widerstände, gute Elkos und „highendige“ Kabel. Und das aus dem Vollen gefräste Chassis stellt fraglos die ultimative Lösung dar

Wie Kenner der japanischen Röhrenszene wissen, gehen die Wavac-Verstärker ja ursprünglich auf den Konstrukteur Nobo Shishido zurück. Er veröffentlichte damals ein Buch, mit dem er die sehr regen japanischen Selbstbauer und Röhrenfreaks aus einem Dilemma erlöste: Denen gingen einerseits schlicht die noch bezahlbaren NOS-Leis­tungstrioden aus, andererseits haderte man auch hier mit den relativ geringen Leis­tungen des üblicherweise bevorzugten Eintaktbetriebs. Doch quasi „nebenan“ in den Röhrenkatalogen schlummerten bis dato ungehobene Schätze: ein ganzes Spektrum verschiedener Senderöhren, viele davon Trioden mit erheblicher Verlustleistung, so dass im Verstärkerbetrieb durchaus anständige Wattzahlen errreichbar schienen. Wie gesagt: schienen. Die Crux mit den Senderöhren ist nämlich, dass sie eine ganz andere Sorte Röhren darstellen, erdacht für völlig andere Zwecke.

Für den üblichen A- oder AB-Niederfrequenz-Betrieb sind die Senderöhren nicht vorgesehen. Außerdem sollen sie natürlich bei hohen Frequenzen im Megahertzbereich sauber arbeiten, zudem dazu neigen, diese Schwingung auch zu erzeugen, also zu oszillieren. Meist ist ihr Innenwiderstand auch so hoch, dass ein angepasster NF-Übertrager mit hoher Primärimpedanz nichts außer einem Haufen Schwierigkeiten verursachen würde. Darüber hinaus sind sie für Gitterstrombetrieb ausgelegt, man verzichtet hier zugunsten höheren Wirkungsgrads auf Verzerrungsarmut und kann eine praktisch beliebig große Steuerspannung einfach durch eine entsprechend große positive Gitterspannung erzeugen. Im Gegensatz zu unseren üblichen NF-Röhren, die Gitterstrombetrieb scheuen wie der Teufel das Weihwasser, fließt nun Strom durch das Gitter, der vergleichsweise ziemlich groß werden kann. Der gewünschte Arbeitspunkt auf der Kennlinie solcher Röhren wird wegen des kleineren Durchgriffs – das Verhältnis zwischen Gitterspannungs- und Anodenspannungsänderung – üblicherweise ohne besondere Gittervorspannung erreicht.

Full stop. Sorry. Bevor Sie mir aussteigen, formulieren wir das Ganze schnell mal einfacher: Nobu Shishido machte sich jedenfalls einen Haufen Gedanken. Und schrieb ein – in Röhrenkreisen – berühmtes Buch, in dem er vorschlug, wie man die schönen, aber störrischen und wenig linearen Senderöhren für HiFi-Verstärker bändigen könnte. Dies geschieht nicht zuletzt mit einem Schaltungstrick: Shishido steuert die kräftigen Sendetrioden – etwa die 805, die 811, die 838 und unsere schöne 4304 – mithilfe eines Zwischenübertragers an. Damit isoliert er einerseits die Treiberröhre vom stromführenden Gitter der Leistungstriode, andererseits kann nun ein eigenes kleines Netzteil den benötigten Gitterstrom zuliefern. Mit entsprechend gebauten Zwischenübertragern, die genau wie unsere geläufigen Ausgangsübertrager einen Luftspalt gegen die Aufmagnetisierung durch Gleichstrom besitzen, gelingt das schon gut. Noch besser geht es freilich, wenn man, ebenfalls eine Shishido-Idee, den Strom in den beiden Wicklungen quasi gegeneinander laufen lässt, um die Gefahr des Aufmagnetisierens des Übertragers fast ganz zu bannen.

So, gleich sind Sie von der Vorgeschichte der Wavac HE-4304 erlöst. Eine Information fehlt noch, nämlich jene, warum Senderöhren noch immer auf die uralte frühe Röhren-Heiztechnik mit Wolframkathoden zurückgreifen. Die so wunderbar hell leuchtende Wolframkathode ist in leistungsfä­higen Senderöhren nämlich eine Notwen­digkeit. Bariumkathoden sind für die bei Senderöhren vorgesehenen hohen Betriebsspannungen (größer 1000 Volt) nicht geeignet; so schaden ihnen beispielsweise sehr hohe Temperaturen im System, zudem kann sich Barium ablösen und andere erhitzte Metallteile der Röhre dazu animieren, ebenfalls Elektronen abzugeben.

Das Leistungsproblem ist kein Thema mehr, wenn man große Senderöhren nimmt. Falls Sie genug Kleingeld und Platz haben sollten: Wavac bietet einen Eintakt-A-­Verstärker mit der ehemals kräftigsten RCA-Glas-Sendetriode an, der 833. Mithilfe erklecklicher Anodenspannung, ein paar Hundert Watt Heizleistung plus einer satt dimensionierten Treiberstufe bringt die „einmachglasgroße“ 833 leicht und locker 100 Watt an die Klemmen eines Prachtstücks von speziell angefertigtem Ausgangsübertrager.

Zurück zu den Kleinigkeiten: Unsere HE-4304 steht mit immerhin 30 Kilogramm auf der Waage und stellt genau das dar, was man sich bei Wavac unter einem anständig gebauten Amp vorstellt. Dazu zählen unter anderem: ein aus dem vollen, 40 Millimeter dicken Aluminium gefrästes, 45 Zentimeter breites Chassis, ein wahres Eisengebirge, also Trafos, aus der Edel-Wickelei „Tango“, eine Eingangsröhre vom Typ Western Electric 437A sowie ein NOS-Treiber 6L6GC, eine Glasabdeckung in Bankschalter-Stärke sowie eine größere Kiste von Bauteilen der Cost-no-Object-Klasse. Resultat: 15 blitzblanke Watt pro Kanal. Kosten: 35000 Euro. Gucken wir doch gleich mal zum Eingang dieses echten Prachtstücks von Verstärker: Die 437A ist nicht irgendeine Röhre, sondern der normalerweise unerfüllbare feuchte Traum eines jeden (Röhren-)Verstärkerdesigners. 1951 von Western Electric für professionelle Kommunikationszwecke entwickelt, stellt diese Triode ein extrem aufwendig gebautes Stück Röhrentechnik dar, sie soll sogar noch bis etwa 1977 gefertigt worden sein. Auf absolute Zuverlässigkeit und Lebensdauer gezüchtet, besitzt die für unübliche 6,1-Volt-Heizung vorgesehene 437A sogar ein goldüberzogenes Gitter, um unerwünschte Sekundäremission zu unterdrücken.

Wer heutzutage seine gierigen Finger nach der kleinen, dicklichen 437A ausstreckt, erlebt bei den üblichen Quellen Enttäuschungen oder darf – Western Electric soll, wie man hört, noch auf gewissen Vorräten sitzen – runde 500 Dollar lockermachen. Pro Stück, bitte schön. Wavac verbindet den mithilfe der 437A gebauten Eingangs-Spannungsverstärker gleichspannungsgekoppelt mit einer 6LGGC. Die weithin bekannte Tetrode ist hier als Triode geschaltet und bedient als Arbeitswiderstand unmittelbar die Primärwicklung eines klein bauenden Tango-Zwischenübertragers. Die so ausgekoppelte, recht hohe Steuer-Wechslerspannung taucht sekundärseitig wieder auf und verraucht schnurstracks am Steuergitter der 4304. Aber nicht ohne sich vorher an einem geregelten Extra-Netzteil mit der positiven Gitterspannung unterlegt zu haben, die für den ordnungsgemäßen Betrieb der 4304 wie schon erklärt unerlässlich ist. Was wir damit vor uns haben, ist letztlich nicht nur ein im Signalweg „kondensatorfreier“ Verstärker, sondern auch ein echtes Stück tiefes Röhren-Know-how. Werkelt die an sich für runde 1000 Volt Anodenspannung ausgelegte Triode doch hier nur mit ein paar Hundert Volt, ergänzt von einem Übertrager, der primär – wir sollen hier keine Geheimnisse verraten – sogar weithin übliche Impedanz aufweist. Aber wie immer stecken die Schwierigkeiten auch hier in den Details.

Die Röhren-Entwicklung anfangs der 30er Jahre gierte nach hohen Frequenzen. Kommerziell und natürlich auch militärisch – Radar erschien am Horizont als machbar – ging es darum, weit in den Megahertzbereich hinein vorzustoßen. Aber bei ein paar Hundert Megahertz herrschten neue, ganz andere Gesetze. Ein Stück Draht wird zu Induktivität, eine gebogene Metallfläche zum Hohlleiter und eine Röhrenfassung zum unüberwindlichen Hemmnis für hohe Frequenzen. Selbst die kurzen Verbindungsdrähtchen im Inneren des Glaskolbens bauen bei so hohen Frequenzen mehr als nur nennenswerten elektrischen Widerstand auf. Mit den bisherigen Röhren aus der Lang- und Mittelwellentechnik ging da wenig bis gar nichts mehr. Hastige Neuentwicklungen folgten, nicht selten solche, bei denen die Röhren der Konkurrenz als Vorbild herhalten mussten. Wer wann von wem abgekupfert hat, ist kaum nachvollziehbar. Höchstens bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen gewissen Röhren liefern – genau wie so oft im Flugzeugbau – Anhaltspunkte für abgeschriebene Hausaufgaben. In den 30er Jahren präsentierte RCA die 834, eine VHF-Triode (Very High Frequency) mit oben herausgeführten Anoden- und Gitteranschlüssen und kurzer runder Graphit-Anode. MOV (Marconi-Osram Valves) hatte mit der DET12 1936/37eine ähnliche Röhre im Programm. Leicht abweichende Derivate der 66 Millimeter durchmessenden 4304 hießen in den Militärkatalogen VT62 und NT58. Unübersehbar auch die Ähnlichkeit zur 1934 erschienenen Western Electric 304A, respektive der WE 304B (1937). STC (Standard Telephones & Cables Ltd.) in Australien baute die Röhre als 4304B, geänderte Sockel liefen unter der Kürzeln 4304-BB und 4304-CB. Während fast alle Brüder und Schwestern der 4304 schon Ende der 30er wieder als veraltet galten und nicht mehr gebaut wurden, überlebt die WE304B bemerkenswerterweise sogar bis 1945. Zuletzt unter dem ITT-Label scheint die europäische 4304CB aber am längsten die unruhigen Zeiten überdauert zu haben, so zumindest sind Röhren gekennzeichnet, von denen man bei Wavac noch über nennenswerte Vorräte zu verfügen scheint. Trotzdem ist klar, dass dieser uralten Story enge ­Grenzen gesetzt sind: Wavac schwört, lediglich 35 Verstärker mit der 4304 zu bauen, um zumindest diesen stolzen Eignern im Notfall auch noch Röhrenersatz bieten zu können.

Nur zwei Anschlüsse an der Fassung der 4304? Ja: Hier ist lediglich die Heizspannung angeschlossen, Anode und Steuergitter der Leistungstriode sind über so genannte Anodenkappen oben am Kolben der Senderöhre kontaktiert

Hier schauen die Anschlussfelder von Ausgangs- und Zwischenübertrager durch runde Fräsungen im dicken Aluchassis. Kenner identifizieren diese Kontakte als zu Tango-Übertragern gehörig – die zählen bekanntermaßen zu den Besten ihrer Art

Mit den im Glas eingeschmolzenen und oben herausgeführten Anschlüssen der 4304 konnte man einigen Problemen beikommen: Kurze Wege zum Gitter ermöglichten die Passage sehr hoher Frequenzen, der herausgeführte Anodenanschluss erlaubt sehr hohe Betriebsspannungen, ohne Überschläge am Sockel fürchten zu müssen. Mit ihrer Maximal-Verlustleistung von 50 Watt liegt die 4304 nur 25 Watt unter den Daten einer 845 – wohlgemerkt trotz des ungewohnt kleinen, runden Anodenblechs. Die Datenbücher sind sich da in Bezug auf Bauarten nicht völlig einig, denn sowohl Graphit als auch Molybdänblech schien angesagt zu sein. Erwähnenswert ist die Heizung der 4304 mit 7,5 Volt und satten 3,25 Ampere: Während Bariumkathoden in Bezug auf die präzise Einhaltung der Vorgaben gegebenenfalls ein wenig nonchalant behandelt werden können, sind Wolframdrähte deutlich kritischer. Sie vertragen weder nennenswerte Unter- noch Überheizung und sollten mit einer Toleranz von höchstens fünf Prozent versorgt werden. Dass bei der Gleichspannungsheizung solcher Röhren eher eine Leistungsbetrachtung anstatt der Spannungsorientierung angebracht ist, stellt man auch im gekonnt gemachten Netzteil der HE-4304 fest. Unter der Ägide eines verdammt großen und trotz vieler Sekundärwicklungen verdammt ruhigen Trafos stehen hier nicht weniger als sieben unabhängige Versorgungsspannungen zur Verfügung, beginnend mit einer drosselgesiebten Anodenspannung und kanalgetrennter Gleichspannungsheizung für ausnahmslos alle Röhren auf dem schweren Chassis.

Sogar die 6LGGC – Wavac liefert seri­enmäßig ein schönes NOS-Exemplar mit „Coke-Bottle-Kolben“ mit – wird mit Gleichspannung geheizt. Sie steckt übrigens wie alle Röhren der HE-4304 in einem teuren und guten Teflonsockel von Yamamoto. Dass das Baumaterial vom Feinsten ist, dokumentieren schon der erwähnte Trafo und die Übertrager vom Zulieferer Tango. Die sehr gut beleumundete Trafofabrik steuert auch die Zwischenübertrager sowie die Siebdrossel bei, in gekapselter Form, versteht sich. Je nach Lautsprecher kann die Wavac per Lötkolben mit 4-, 8- und 16-Ohm-Anpassung versehen werden. Und während ein mit Kapazitäten überbrückter Kathodenwiderstand von keinerlei lokaler Gegenkopplung seitens der Treiberstufen kündet, ist am Eingangsverstärker durchaus eine Spur des bewährten Hausmittels gegen Verzerrungen zu diagnostizieren, zudem besitzt die Endstufe sehr wohl eine schwach ausgelegte Über-alles-Gegenkopplung. Also Abkehr von der reinen Lehre? Aber nein. Bestenfalls ein Hauch von Linearisierung, der – wie wir sehen oder besser hören werden – nicht weh tut und angesichts des durchaus rabiat ge­radlinigen, kurzen Schaltungskonzepts wohl unumgänglich ist.

Guckt man unter das Chassis, so stellt man gleich fest, dass die Japaner ihre eigenen Ansichten haben, was Füße für Röhrenverstärker angeht. Die Wavac steht auf – oder besser: ruht in vier runden, ausgehöhlten Zylindern, die mit einer superweichen, fast kriechenden, gummiartigen Masse gefüllt sind. Spikeartige Metalleinsätze stellen erst die Verbindung zum Chassis her, so dass der Amp, wie sich leicht feststellen lässt, auf diese Weise erst mal fein vibrationsgedämpft steht. Die schon brutal zu nennende Materialschlacht des Chassis tut ein Übriges, um die Wavac gegen Luftschall weitgehend unempfindlich zu machen. Ganz nebenbei haben wir damit freilich ein nettes, kleines Transportproblem vor Augen, dessen sehr heiß laufende Endröhren, nur nebenbei bemerkt, empfindlich gegen Fettfinger sind und dessen zu Recht hoch gelobte Eingangsröhre, ja, die berühmte 437A, nicht so unanfällig gegen Mikrofonie ist, wie man sich das in den besten Röhrenfamilien wünschen würde. Folglich gilt die Devise: Geschützt aufstellen, raus aus dem unmittelbaren Schallfeld der Lautsprecher! In Bezug auf etwaiges Rauschen und Brummen – oder kleine Ein- und Ausschaltschweinereien – benimmt sich der Nobelverstärker allerdings so, wie es seinem Preis geziemt. Über Formalien wie angemessene elektronische Bauteile, Buchsen und Klemmen brauchen wir in diesem Fall nicht zu reden. Gehen Sie einfach mal davon aus, dass diese Seite der Medaille so ist, wie man sich das optimistischerweise vorstellen würde, und dass so ein Amp auch nicht mit dem Paketdienst in die Haustür fällt, sondern standesgemäß angeliefert wird.

Western Electric 437A: schlicht eine Traumröhre, die natürlich auch ihren Preis hat. Wavac ist meines Wissens nach der einzige Hersteller, der diese Profi- Triode serienmäßig verwendet

Damit die üblichen Anodenkappen passen – Röhren mit Außenanschlüssen waren früher häufig anzutreffen –, wurden mit Inbusschrauben gesicherte Zwischenstücke auf die eingeschmolzenen Drähte geschoben

Sozialpädagogisch und HiFi-psychologisch betrachtet gibt es bei einem Röhrenamp für diesen Preis nur eine einzige Möglichkeit: Wenn Sie nicht spätestens 15 Minuten nach dem Einschalten mit Tränen in den Augen vor den Lautsprechern knien, dann ist irgend­etwas mit dem Rest Ihrer Anlage furchtbar schief gelaufen. Denn das ist ungefähr das Mindestmaß dessen, was man angesichts einer solchen Investition erwarten darf. Und, um es gleich zu sagen, die HE-4304 erfüllt diese Forderung. Und zwar vollends.

Besagte 15 Minuten benötigt sie, um ganz in Form zu kommen, ihre dicken Kapazitäten aufzuladen, ihre Trafos anzuwärmen und ihre Röhren auf Vordermann zu bringen. Kurz: um sich zu dehnen und zu strecken. Danach ist für Sie – und mich – irgend etwas Angemessenes zwischen guten Zigarren und erstklassigem Rotwein angesagt. Um vergnügt zu feiern. Lehnen Sie sich doch mal entspannt zurück. Breites, befriedigtes Grinsen inklusive. Plus die Gewissheit, dass dies kein Amp für highfidele Erbsenzähler, sondern für höchst genießerische, gerne mal lustvoll schwelgende Charaktere ist. Mit einem un­überhörbaren, ja schon animalischen Einschlag von geradezu irrer Spielfreude. Was steht im Prospekt? Ja: “Power output is a ­substantial 15 watts with a full and rich presentation that really makes people enjoy music.”

Ich hätte dem an sich nichts hinzuzufügen. Oder doch. Vielleicht, dass es sich hier um einen opulent arbeitenden, quietschfidelen Opernball-Verstärker handelt, der einen in sich glänzenden, barocken Klang aufzubauen versteht. Oder um einen Verstärker, der mit schon wütendem, knurrigem Brutal-Bass so herumprügeln kann, dass die armen Papiermembranen einiger – nicht aller! – Breit­bänder schon beim ersten Temperaments­ausbruch fast aus der Aufhängung fliegen werden. Und das mit wahnwitzig viel Kontrolle und einer Tieftonpräzision, wie ich sie bis dato noch nie von einer Röhre und auch noch von keinem Transistor gehört habe. Oder um einen Röhrenverstärker, dessen ­15-Watt-Spezifikation so ungefähr das nichts­sagendste Understatement darstellt, das mir jemals untergekommen ist. 15 Watt? Blödsinn. Das Ding klingt wie 50 oder 80 Watt, liefert, falls gefordert, wie aus dem Hemdsärmel kernige, für einige „laute“ Lautsprecher sicher nicht ganz ungefährliche Leistungsexplosionen ab. Die Wavac-300B, ebenfalls kein Kind von Traurigkeit, ebenfalls keineswegs ein schwachbrüstiger Vertreter ihrer Zunft, ebenfalls ein teurer Ausnahme-Röhrenverstärker, macht sich im Vergleich – tut mir leid – wie Spielzeug. Scheint es doch, als würde via Senderöhre, via hoch emissionsfähige Kathode deutlich mehr Leistung förmlich durch den Übertrager „hindurchgreifen“. Der allerdings, bevor wir ihn vor lauter Begeis­terung vergessen, keineswegs ein durchnittliches Stück Eisen und Kupferwicklung darstellt.

Bei aller Freude über die alles andere als asketisch-zurückhaltende Spielweise der Wavac HE-4304 bleibt sicherheitshalber anzumerken, dass sie durchaus ätherisch-transparent, entwaffnend detailfreudig und ungeheuer farbkräftig darzubieten versteht. Oder dass sie einen riesigen, so bisher nicht gehörten Raum aufzubauen vermag. Oder dass sie in Bezug auf Schönheit, in Bezug auf notfalls kristalline Klarheit und auf Dynamik jede andere Triode – ein oder zwei Ausnahmen mag es da geben – einfach unter den Tisch spielt. Oder was der hifiistischen Schlagworte mehr sein mögen.

Genau die zu bemühen fällt mir in diesem höchst speziellen Fall aber äußerst schwer. Die Wavac tut ja ohnehin praktisch alles, was ihr die Konserve vorgibt, vielleicht, ja, mit einem herzhaft zugekniffenen Auge, mit ihrem unvergleichlichen Temperament plus einer gewissen Fülle im Tiefton, die man bei diesem Lustobjekt einfach nicht wegleugnen kann. Und auch nicht wegleugnen mag. Aber im Kontext einer ohnehin sehr voluminös abgestimmten Anlage könnte das auch mal zu viel des Guten werden. Oder doch nicht? Mir gefällt die Wavac jedenfalls, wie sie ist. Ach was: Ich liebe diesen Verstärker. Hatte ich das schon mal erwähnt? Okay: Falls Sie zu jenen Musikanalytikern zählen – ich sage jetzt wohlgemerkt nicht Musikgenießer –, die beim ersten sanften Mitgrollen von Decke und Fußboden erschrocken das Schneuztüchlein zücken, dann kaufen Sie sich bitte einen anderen Amp. Für ins Kühle tendierende Ketten dürfte sich die 4304 freilich als genialer Substanzspender und Wärmezulieferer erweisen. Und womöglich ist dann sogar jener Schuss Erotik da, der immer gefehlt hat …

Aber was mach ich nur? Übermorgen muss sie zurück. Dann ist sie weg! Und ich steh dann da und guck blöd aus der Wäsche. Nein, ich werde nicht heulen. Gibt es eine Therapie gegen das Verlassenwerden? Von einem Röhrenverstärker? Verdammt. Schluss jetzt. Die holen mich sonst noch ab.

Geräteinformation

Leistung (4/8/16 Ohm): 2 x 15 Watt

Eingänge: 2 x Cinch

Eingangsimpedanz: 100 kOhm

Eingangsempfindlichkeit: 1 Volt

Ausgänge: 2 x Polklemme

Leistungsaufnahme: 360 Watt

Röhrenbestückung: 2 x WE437A, 2 x 6L6GC, 2 x 4304CB

Besonderheiten: Single-Ended, IITC-Schaltung (Inverted Interstage Transformer Coupling), Lastimpedanz am Übertrager nur durch Umlöten zu ändern

Maße (B/H/T): 45/36/26 cm

Gewicht: 30 kg

Garantiezeit: 24 Monate

Preis: 35.000 Euro

Kontakt

www.wodaudio.de