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Jadis DA-88S

Text von: Michael Vrzal

Jadis präsentiert ein neues integriertes Topmodell. Wohin die Reise geht, lässt die Leistungsangabe des DA-88S erahnen: 60 prachtvolle Class-A-Watt. Eine Lektion in französischem „savoir amplifier".

Weihnachten kann nicht schöner sein. Ein Deckel wird abgehoben, und aus den Mündern dreier erwachsener Männer dringt ein lustvoller Seufzer. Das Innere des neuen Top-Vollverstärkers aus dem Hause Jadis ist aber auch wirklich zum Anbeißen. Eigentlich bräuchte der wahre Fan zwei Stück davon: einen zum Musikhören, den anderen mit abgenommenem Bodenblech zum Anhimmeln.

Während Kollege Kraft angesichts der bilderbuchmäßigen Freiverdrahtung dahinschmilzt und Kollege Brockmann über das Groovepotenzial französischer Edelröhren sinniert, dient mein Seufzer schlicht der Bandscheiben­mo­tivation. Die röhrenbestückte Augenweide, deren Inneres im image-Fotostudio zum Vorschein kommt, wiegt 40 Kilo: der Vollverstärker DA-88 Signature von Jadis, mein Testgerät. Mit seiner Ankunft wenige Wochen zuvor ist ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen: etwas Dynaudio-taugliches von Jadis zu testen. Der „kleine“ Integrierte der Franzosen namens Orchestra war nach einem kurzen Gastspiel in bester Erinnerung geblieben, ließ zum vollen Glück nur eine Handvoll Watt vermissen. Da kommt der Neue gerade recht. Das Vollverstärker-Flaggschiff reklamiert satte 60 Watt Spitzenleistung für seine vier in Class-A-Betrieb glühenden Push-Pull-Röhrenpärchen und ist somit geradezu als Treibsatz für die Sub-90-Dezibel-Fraktion prädestiniert.

Basis für die Entwicklung des DA-88 ist Jadis’ bislang potentester Vollverstärker, der DA-60 Signature. Doch der Neue ist mehr Re- als Evolution. Mit ihm reagiert Jadis auf eine Entwicklung, die im Transistorlager schon seit geraumer Zeit für Aufregung sorgt. Branchengrößen wie Mark Levinson, Rowland oder Burmester scheuen sich nicht, mit kompro­miss­losen Vollverstärkern selbst hausinterne Hierarchien durcheinander zu wirbeln. Galten integrierte Lösungen traditionell als Einstiegs- und Übergangslösungen auf dem Weg zum ultimativen Vor/End-Gespann, besinnt man sich derzeit wieder der Vorteile von kurzen Signalwegen und wegfallenden Kabelverbindungen. Deshalb lockt der DA-88S unverhohlen mit Erbmaterial der großen Geschwister und positioniert sich nicht nur kraft seines opulenten Preisschildes über der bisherigen separaten Einstiegsofferte der Franzosen, der um 2000 Euro günstigeren Kombi DPL/DA5 (image hifi Nr. 9).

Um Verwirrung unter denen zu vermeiden, die den neuen Jadis schon anderweitig gesichtet haben: Das Testgerät ist die an zahlreichen Stellen feingetunte Audioplan-Fassung des Serien-DA-88S. Der hierzulande für Jadis zuständige Vertrieb ist über die Jahre eine geradezu symbiotische Verbindung mit den Franzosen eingegangen. Dass im deutschen DA-88S als Leistungsröhren statt der ursprünglichen KT88 acht EL-34-Derivate namens 6CA7 ihren Dienst verrichten, geht auf die Initiative von Audioplan-Chef Thomas Kühn zurück. Auch an anderen Stellen hat er seine Klangvorstellungen realisiert, etwa bei bestimmten Koppelkondensatoren, die er eigens von Siemens für die Verwendung im DA-88S bauen lässt. Ebenso sind die modernen „eingedellten“ blauen Siebkapazitäten des Netzteils bei anderen Länderversionen des Verstärkers nicht zu finden.

Was bei schwächeren Röhrenverstärkern in kinderlosem Haushalt noch tolerierbar wäre, ist in diesem Fall zwar hübsch anzusehen, angesichts der immensen Hitzeentwicklung aber purer Leichtsinn: der DA-88S „oben ohne“

Ansonsten gilt: Ein Jadis ist ein Jadis ist ein … An der Gehäusemachart haben die Franzosen seit Jahrzehnten nichts verändert. Nach wie vor ist polierter rostfreier Stahl in blitzsauberer Verarbeitung das Material der Wahl, und auch am Gold wurde nicht gespart. Links neben dem Röhrenkäfig – der tunlichst an seinem Platz zu bleiben hat – schwitzt sich ein Spannungsregler die Seele aus dem Leib, dahinter stehen sechs Siebkondensatoren stramm. Bei der Stromversorgung setzt Jadis auf CLC-­Siebung, die zugehörige Drossel ist im Gehäuse versteckt. Hauptverantwortlich für das immense Gesamtgewicht sind ein ehrfurchtgebietender Trafo – die Class-A-Schaltung will schließlich gefüttert werden – und zwei kaum weniger eindrucksvolle Ausgangsübertrager. Bedienungsseitig konzentriert man sich auf das Wesentliche: Zwei bewährte Alps-Potis regeln Lautstärke und Balance, dazu kommt ein Quellenwahlschalter, der seine Gründerzeit-Haptik dem intern verbauten Elna-Stufenschalter verdankt, und zwei ebenso rustikale Kippschalter zum Hochfahren der Röhren und Wählen zwischen Standby- und Hörbetrieb. Fünf Cinch-Eingänge samt Tape-Schleife und vier Bi-Wiring-freundliche Lautsprecheranschlüsse komplettieren die puristische Ausstattung. Der Verstärker ist ab Werk auf Lautsprecherimpedanzen zwischen vier und acht Ohm eingestellt. Anpassungen lassen sich theoretisch selbst vornehmen, praktisch sollte man sie allein wegen des zu bewegenden Gewichts dem Händler bzw. Vertrieb überlassen.

Die Schaltung des DA-88S folgt in Grundzügen dem altbekannten Quad-Vorbild. Bei genauerem Hinsehen erweist sich die französische Neuinterpretation allerdings als höchst komplexes Konstrukt. Selbst Thomas Kühn kennt nicht jedes Detail – Jadis rückt, in Röhrenkreisen durchaus ungewöhnlich, keine Schaltpläne heraus. Zumindest die Röhrenbestückung ist unstrittig. Es treten auf: eine Doppeltriode ECC82 als Stereo-Eingangsstufe, pro Kanal je zwei ECC82 und zwei ECC83 als Treiber und Phasenteiler sowie in der Leistungssektion vier Push-Pull-Pärchen 6CA7-Pentoden. Letztere kommen in einer besonders robusten Version mit stärkeren Anodenblechen, höherer Schirmgitterbelastbarkeit und zehn Prozent höherer Anodenverlustleistung als in der Standardfassung zum Einsatz. Woher Jadis diese Edelröhre bezieht? Das wüsste bestimmt auch Herr Kühn gerne … Dass die Endröhren mit Autobias laufen und gleichstromgeheizt sind, ist dagegen kein Geheimnis.

Darin stecken Stunden höchstqualifizierter Lötarbeit. Man beachte audiophile Details wie die Quellen- umschaltung direkt an den Eingängen oder das Schirmblech neben dem Netztrafo. Die Masseführung ist wie aus dem Lehrbuch und trägt entscheidend zur hervorragenden Störarmut des Verstärkers bei

Wir kommen zur Technik noch zurück, doch jetzt muss ich endlich berichten, was der ­französische Integrierte in meiner Anlage anstellte.

Ich bin nämlich gemein. Den Röhren die Arbeit erleichtern, in vorauseilendem Gehorsam die Lautsprecher wechseln? Nix da, auf dem Papier stehen 60 Watt Spitzenleistung, da muss er durch. Also ran an die Dynaudios. Und siehe da, diesem MDF und Polypropylen gewordenen Alptraum von Kollege Krafts Triodensammlung entspringen unter der Regie des DA-88S gewaltige Töne.

Bevor sich die Kritiker zu Wort melden und daran erinnern, dass ein Übertrager auf die Rückinduktion eines schweren und langhubigen Kunststoff-Tiefmitteltöners etwas anders reagiert als ein transistorisiertes Dämpfungsfaktormonster – gemach! Fakt ist: Der Zugewinn an Fülle tut den Däninnen in meinem Raum enorm gut. Zumal er, und das ist der Knackpunkt, einhergeht mit Wucht und Druck, auf gut Deutsch jeder Menge Spaß. Diese Dinge sind naturgemäß äußerst stark von der jeweiligen Raumsituation abhängig, und wir werden später noch sehen, wie sensibel der Jadis auf Aufstellung und Peripherie reagiert und so eine punktgenaue Abstimmung auf das individuelle Empfinden ermöglicht.

Klangliche Merkmale, die ab den ersten Tönen präsent sind und sich im weiteren Testverlauf als Hauptcharakterzüge des Franzosen entpuppen, sind zum einen die schon vom kleinen Bruder Orchestra bekannte Fähigkeit, musikalische Spannungsbögen aufzubauen und so quasi mitinterpretierend die Musik wiederzugeben, zum anderen eine zuweilen fast erschreckend plastisch modellierende Klangkörperdarstellung. Nicht zu vergessen die besonders dem Realismus von Gesangsstimmen dienende trägheitslose Binnendynamik und eine „goldene“ Höhenwiedergabe, die das Kunststück vollbringt, für überragendes Auflösungsvermögen zu sorgen, ohne dafür mit Hochtondetails offensiv hausieren zu gehen.

Hört sich gut an, oder?

Trotz dieser zweifellos beeindruckenden Leis­tung ließ sich während der ersten Testphase in Berlin eine tonale Tendenz zu wohliger Opulenz nicht überhören. So kam ein Kurzurlaub in München gerade recht. Es gibt übrigens Lustigeres als das Hantieren mit 40 Kilo Röhrenelektronik, egal ob es um das Verschieben auf dem heimischen Rack geht oder um das Wuchten in enge Kofferräume …

Wie gut sich der Jadis aufs Durchreichen versteht, machte er bei der Suche nach einer adäquaten Signalquelle in München deutlich. Erst der – zufällig ebenfalls röhrenbestückte – Kombi-Digitalplayer T+A D10 (image hifi Nr. 65) erwies sich als würdiger Spielpartner. Und mit ihm wirkte der DA-88S noch längst nicht ausgereizt – nennen wir es „gefühltes Klang­potenzial“.

Inzwischen waren in Gröbenzell Kabel eingetroffen. Thomas Kühn, der wie erwähnt ein nicht geringes Wörtchen bei der Feinabstimmung „seiner“ Geräte mitzureden hat, hatte mir aus elektrischen Gründen die hauseigenen MusiCable-Verbinder ans Herz gelegt. So ersetzten nun je ein Stereosatz Lautsprecher- und NF-Kabel aus dem badischen Malsch die (auf Dynaudio abgestimmten) OCOS- und (bestens mit Naim harmonierenden) Chord-Strippen. Ein klarer Fortschritt: Der Jadis be­dankte sich unmittelbar mit einer Aufhellung des Klangbildes und merklich gesteigerter Spritzigkeit. Dann der Raum: Das nach einer Renovierung in den Höhen nur mäßig be­dämpfte, seit jeher mit einigen bösen Raummoden kämpfende Münchner Wohnzimmer verwischte vieles, was da an Klangfarbenpracht aus den Esotar-Tweetern der Dynaudio Crafft blühte. Deshalb noch ein Umzug ein Stockwerk höher, in die Mansarde. Teppiche ausgelegt, Licht gedimmt – und los.

Es gibt HiFi-Geräte, mit denen hört man unwillkürlich lauter, weil sie einen ins musikalische Geschehen hineinsaugen. Der Jadis ist so ein Fall. „Immersives Stereo“ möchte ich das nennen. Wenn Mitmenschen, die sonst bei Forte-Passagen nervös gen Pegelregler schielen, plötzlich Jazztitel in Originallautstärke ge­nießen können, dann macht die Anlage einige Dinge richtig. Wenn zudem Einigkeit darüber besteht, dass der Sound zwar Spitze ist, der Pianist Jorge Bolet aber trotzdem Vladimir Horowitz nicht das Wasser reichen kann, haben sich auch die Themen Euphonie und Gleichmacherei erledigt. Nun steht dem fröhlichen Wiederentdecken der Plattensammlung nichts mehr im Wege. Da kommt wieder das feine Auf­lösungsvermögen ins Spiel – hier ein synthe­tisches Hallfähnchen, dort ein Schmeckgeräusch, dem DA-88S entgeht nichts.

Der Einsatz einer Heavy-Duty-Variante des EL-34- Pendants 6CA7 ist in der Class-A-Schaltung der DA88-S durchaus sinnvoll

Der Netztrafo rechts muss konstant rund 300 Watt liefern können – kein Wunder, dass er maßgeblich an den 40 Kilo Gesamtgewicht beteiligt ist

Die grünen Hochlast-Keramikwiderstände sind vermutlich die einzigen New-Old-Stock-Bauteile. Modern und mit brachialen Kontaktkräften gesegnet: die Keramikfassungen der Leistungsröhren

Per Blechbrücken lässt sich der Jadis auf veschiedene Lastimpedanzen anpassen. Die Lautsprecherterminals sind praktisch gleichberechtigt

Ach hätte ich doch einen guten Tuner – Hörspiele müssen eine Wucht sein, bei dieser Stimmwiedergabe. So wandern verstärkt Vo­kal­aufnahmen in den Player. Was für einen Reichtum die menschliche Stimme birgt! Ella Fitzgerald und Louis Armstrong, Holly Cole, Marta Sebestyen, Ana Caram und viele, viele andere materialisieren sich dieser Tage zwischen meinen Lautsprechern.

Diese Süße in Mitten und Obertönen, verbunden mit kraftvoller Bassentfaltung, soll mit einer Jadis-exklusiven Schaltungsbesonderheit zusammenhängen. Zwei Seelen wohnen in der 6CA7-Brust – zu Deutsch, die Leistungsröhren, die dreifach mit den Übertragern verkoppelt sind, verbinden Eigenschaften von Trioden- und Pentodenbetrieb. Laut Thomas Kühn ist es Jadis gelungen, in der Endstufe des DA-88S eine Art Gegenkopplungs-Frequenz­weiche zu realisieren, dank derer hohe Frequenzen eine Triode „sehen“, den Bässen dagegen im Pentodenbetrieb die Vorgaben der Treiberstufe nahe gelegt werden.

Der DA-88S ist, was ich einen „großen Verstärker“ nennen möchte. Das bedeutet, dass seine volle Leistung nicht in wenigen Wochen zu erfassen ist. Ich mache keinen Hehl daraus, dass er mich bisher nachhaltig beeindruckt hat. Doch es gilt, dem Integrierten Zeit zu geben. Er hat den Klang meiner Kette verändert, und er hat meine Wahrnehmung von Musikreproduktion verändert. Die Vielzahl der Eindrücke verlangt nach einem kühlen Kopf, bevor sie niedergeschrieben wird. Deshalb – dieser Zaunpfahlwink geht nach Malsch – werde ich mir die Zeit nehmen, weitere Lautsprecher anzuschließen, mit Aufstellungsvarianten zu spielen, vor allem aber viel, viel Musik zu hören. Eines ist jedoch schon jetzt sicher: Schnöde HiFi-Kriterien haben wir längst hinter uns gelassen – weit, weit hinter uns. Von nun an geht es um Musik.

PS: Wochen später.

Der größte, schwerste und teuerste Integrierte aller Zeiten aus dem Hause Jadis ist auch klanglich eine echte Hausnummer, lautete das Fazit des ersten Teils meines Erfahrungsberichtes. Am meisten hat mich dabei gefreut, mu­sikliebende Mitmenschen für den Röhrenboliden begeistern zu können, die mit HiFi sonst so ihre Probleme haben. Mitmenschen, die Musikinstrumente nicht nur ihr Eigen nennen, sondern sie auch bedienen können und diesen Klang als absoluten Maßstab nehmen. Zu Recht, wie ich übrigens meine – doch das wäre eine andere Geschichte …

Der Gnade der späten Geburt verdanke ich ein – noch! – recht breitbandiges Hörvermögen. Das Pfeifen meines alten Fernsehers nehme ich genauso wahr wie den angeblichen Ultraschall vieler Anti-Marder-Anlagen in parkenden Autos. Was für eine Wonne ist da der Hochton des Jadis! Umso mehr, als der hochauflösende Franzose ab der Inbetriebnahme – also nach zehn Minuten, die für das schonende Hochfahren des Class-A-typisch glühenden Endröhrenoktetts einzukalkulieren sind – praktisch voll da ist, während der folgenden halben Stunde quasi nur noch ein paar unsichtbare Fältchen zurechtzupft. Für ein vergleichbar geschlossenes Klangbild haben meine Naims mehrere Monate gebraucht. Angesichts eines Leerlauf-Strombedarfs von etwa 30 Watt können die allerdings permanent am Netz bleiben – 100 Prozent Klang on demand. Da fordert Class A seinen Tribut: Nicht nur die Stromrechnung, auch die Lebensdauer der Glaskolben profitiert ungemein von einer umsichtigen Handhabe von Ein- und Standby-Schalter des Jadis. Thomas Kühn empfiehlt sogar, den Vollverstärker bei Hörpausen von über einer Stunde ganz abzuschalten. Besitzer des DA88S sollten also über ein gut organisiertes Hörverhalten verfügen.

Nach der anfänglichen Begeisterung war ich etwas besorgt, ob sich auf Dauer nicht der Verstärker auf Kosten der Musik profilieren wollen würde: Jadis spielt Bach, Jadis spielt Vivaldi, Jadis spielt Tom Waits … Tut er nicht. Der Beweis: Wann immer eine CD oder LP „nur zum kurzen Hineinhören“ aufgelegt wurde, fesselte mich die Musik viel länger vor den Lautsprechern als geplant. Weil der DA88S Tonträger zum Leben erweckt, dabei aber auf die Beigabe von Röhren-Glutamat verzichtet. Da lassen sich tatsächlich Parallelen zu Naim ziehen. Auch eine optimal aufgestellte und eingespielte Anlage der Briten vermag es, Schallereignisse innerlich aufzuladen, ihnen im jeweiligen Kontext Sinn und Richtung zu verleihen. Nein, so groß sind die Unterschiede wahrlich nicht, besonders im Vergleich mit Naims aktueller Reference-Baureihe. Ein Tick mehr Raum und ein Kleckschen mehr Farbe hier, eine ­Winzigkeit treibendere Rhythmik dort – Ge­schmacksfragen, nicht mehr. Die Fans dieser Hersteller dürften sich jedenfalls nicht gegenseitig die Augen auskratzen.

Die Sache mit dem Wirkungsgrad ließ mir keine Ruhe. Nicht, dass mir direkt etwas fehlen würde. Trotz der mehr als ausreichenden Leis­tungsangabe würde sich der Integrierte aber sicher über eine Arbeitserleichterung freuen. So kam Harbeth ins Spiel.

Die Super HL5 (siehe Cai Brockmanns Besprechung in image hifi Nr. 67) ist eine Drei-Wege-Semikompaktbox – zu klein für die Bodenaufstellung, zu groß für klassische Ständer, vom Regal ganz zu schweigen. Neben einem Hochtöner und einem Supertweeter arbeitet in ihr ein 20-Zentimeter-Tieftöner auf etwa das dreifache Volumen einer Dynaudio Special One. Wirkungsgradmordende Tricks zur Bassgenerierung kann sich der britische Monitor also sparen. Das Resultat der Verbindung mit dem französischen Röhrenkraftwerk war erstaunlich: Grandioser Raum, samtseidige Klagfarbenpracht, fulminanter Bass, leichtfüßige, dabei aber kaum höhere Dynamik als mit den Dynaudios, ebensowenig höherer Pegel bei unveränderter Position des Lautstärkereglers. Deshalb würde ich den Jadis noch lange nicht mit 80er-Jahre-Infinitys oder Quasi-Kurzschluss-Bändchenlautsprechern paaren. Trotzdem: Seine 60 Class-A-Watt sind keine bloße Papierangabe, sondern erlauben tatsächlich eine ziemlich freie Wahl von Spielpartnern.

Der pegelmäßige Wohlfühlbereich des DA88S liegt in einer Gegend um die 90 Dezibel. Das ist nicht leise. Was diese durchaus substanzielle Lautstärke so attraktiv macht, ist die besondere dynamische Ansprache des Jadis. Ein Hochregeln des gerasterten Potis – natürlich gibt’s keine Fernbedienung, was für eine Frage – resultiert nicht einfach in höherem Gesamtpegel. Statt schlicht „lauter“ wird das Klangbild lebendiger, organischer, als weckte der kleine Dreh erst so richtig die Lust des Röhrenboliden am Musizieren. Ob das mit den Dynaudios zusammenhängt? Ein Orchester klingt nicht einfach lauter, sondern dynamisch differenzierter, weiter aufgespreizt vom Pianissimo bis zum dreifachen Fortissimo. Dynamische Ausbrüche von Instrumentalisten oder Sängern erhalten Biss und Prägnanz, kurz Überzeugungskraft. Ah, Stimmen: Der Jadis bewahrt in selten zu hörender Weise die maßstabsgerechte Darstellung von Personen, entschlackt nuschelnde Organe hin zu einwandfreier Sprachverständlichkeit, ja wirkt bei dem ein oder anderen fast verjüngend. Die Nagelprobe Tom Waits bestand der DA88S mit Bravour, bei Puccinis La Bohème (London OSA 1208) sog er mich unwiderstehlich ins turbulente Geschehen ein und entließ mich erst mit dem Schnappgeräusch der Auslaufrille.

Der größte Vollverstärker von Jadis ist ein ultimatives Gerät für Genießer. Wer ihn sich anschafft, ist zu beneiden, sollte sich aber über zwei Dinge im Klaren sein. Erstens: Ohne einen körperlich gesunden Lebenspartner, physisch reifen Nachwuchs oder verständnisvolle Nachbarn ist an ein Hantieren mit 40 Kilo Röhrenelektronik nicht zu denken, Bodybuilder ausgenommen. Zweitens: Der DA88S ist kein Gerät für Hektiker. Den beständig quasi unter Volllast glühenden Endröhren zuliebe erhalten Netzkabeltests einen Zen-mäßigen Rhythmus, die Ankündigung „ich schmeiß schon mal den Verstärker an“ wird fester Bestandteil des familiären Vokabulars.

Ein Gerät wie dieses kauft man sich nicht einfach, auf den DA88S lässt man sich ein. Doch man wird dafür belohnt.

Geräteinformation

Leistung (4 Ohm): 2 x 60 Watt

Eingänge: 5 x Line (Cinch)

Ausgänge: 2 x Lautsprecher, 1 x Tape (Cinch)

Besonderheiten: interne Impedanzanpassung, Balanceregler

Maße (B/H/T): 50/22/40 cm

Gewicht: 40 kg

Garantiezeit: 36 Monate

Preis: 9500 Euro

Kontakt

www.audi-o-plan.de