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Vinyl seit 1972, auch ohne „Boom“

Alfredo Mascia: Wie lange gibt es „Connaisseur Mailorder“ schon?

Janis Obodda: Ich habe den Versandhandel als auch das Ladengeschäft von meinem Vater zum Jahreswechsel 1998/1999 übernommen. Die Firma gibt es aber schon eine Weile länger, sie wurde bereits 1972 gegründet. Übrigens ist das gleichzeitig eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen – ich war noch keine vier Jahre alt, als wir uns das Ladengeschäft in Karls­ruhe in der Waldstraße angeschaut haben, ob es denn zum Betreiben eines Plattenladens geeignet wäre? Irgendwie habe ich damals schon gerochen, dass daraus etwas Spezielles werden würde…

Wie hat sich das dann später nach Speyer entwickelt?

Das hatte rein familiäre Gründe. Als ich den Laden von meinem Vater übernahm, hatte ich entschieden, daraus einen reinen Versandhandel zu machen. Kurz darauf lernte ich meine Frau kennen, die aus dieser Gegend hier kommt. Mein Sohn kam 2005 zur Welt; danach bin ich noch ein Jahr von Speyer nach Karlsruhe gependelt – dann hatte ich beschlossen, dass ich dazu keine Lust mehr habe. Mein Job ist sowieso nicht der familienfreundlichste, was die Arbeitszeiten angeht, da dachte ich, die täglichen zwei Stunden auf der Autobahn kann man sich sparen. Zumal Speyer und die Fußgängerzone hier sehr idyllisch und hübsch sind.

…und somit prädestiniert für Laufkundschaft. Gibt es diese denn?

Wenig. Speyer ist, denke ich, einfach die falsche Stadt dafür. Es gibt kein junges Publikum, und die älteren, die hierher kommen, tun es wegen der Stadt selber. Zudem ist Connaisseur Mailorder eher überregional bekannt. Aber das ist ja auch kein Wunder, wenn man ein deutschland- und europaweit agierender Versandhandel ist.

Seit einigen Jahren boomt die Vinylszene und das Geschäft „drum herum“ wieder. Das müsste sich doch bemerkbar machen?

Das ist der Knackpunkt. Dieser sogenannte „Vinylboom“ ist für die Händler, die das schwarze Gold nie aufgegeben haben, so wie mich und drei, vier andere – mehr waren und sind es nicht –, das Schlimmste, was passieren konnte. Jahrelang haben die „Haie“, sprich, die großen Versandhäuser, Vinyl einfach ignoriert, und so waren wir, die kleineren Spezialisten, recht sicher in unserer Nische, die sicher nicht so groß war – aber reich ist man in der Branche eh noch nie geworden. Zumindest musste man jedoch nicht mit jemandem im Wettbewerb stehen, gegen den man im Prinzip vollkommen chancenlos ist, so wie heute. Es entstand das typische Bild: keine Beratung, niedrige Preise durch sehr hohe Mengen an Verkäufen auf der einen Seite; Beraten, Hören, Sondieren, Empfehlen, Rezensieren und leider demgegenüber leicht höhere Preise durch die dann zwangsläufig niedrigeren Einkaufsquantitäten auf der anderen Seite.

Janis Obodda ist ein echter Fackelträger analoger Kultur. Seiner Leidenschaft haben wir es zu verdanken, dass die Schallplatte lebt, und nicht den Großversendern wie amazon & Co.

Gibt es aus deiner Sicht überhaupt etwas Positives am Vinylboom?

Aus meiner ganz persönlichen Sicht leider nein. Nicht einmal die Qualität der Platten, die zumindest in Europa über dieselben Pressen laufen, ist mehr annehmbar. So viele Höhenschläge und LPs, die aussehen, als hätte man sie mit Stahlwolle geputzt, gab es früher nicht. Aber da hatte es ja im Gegensatz zu heute auch noch so etwas wie Qualitätskontrollen…

Gibt es ein Alleinstellungsmerkmal, was Connaisseur Mailorder angeht?

Ja, sicher. Da geht es um meine Beratungs­tätigkeiten. Das habe ich den Großen voraus, ich weiß genau, was ich verkaufe, weil ich mir vorher alles anhöre und dabei schon überlege, was zu welchem meiner Kunden passen könnte. Auch hier gibt es allerdings den berühmten „Beratungsklau“ – wenn ich alles weiß, kann ich ja dorthin gehen, wo es einen Euro weniger kostet. Das tut manchmal schon weh, aber damit muss ich leben.

Wie sieht es denn eigentlich mit einer mittel- oder langfristigen Nachfolgeregelung aus?

Es stimmt, bei dem Arbeitspensum, das ich so habe – in etwa 70 oder mehr Stunden pro Woche – halte ich wohl nicht durch, bis ich wirklich alt bin. Zwei meiner drei Söhne kämen dafür infrage, aber ich werde versuchen, das zu verhindern: zu viel Arbeit, zu wenig Brot. Die Zeit der kleinen Versandhändler, die nicht über Menge, sondern über Beratungsmarge leben, ist definitiv vorbei. Das ist ein glasklarer Fakt, den man nicht wegschieben kann. Traurig, aber wahr. Ich mache das aus Passion, es ist eine Herzenssache. Deswegen kann ich es mir auch gar nicht vorstellen, wie es ist, irgendwann zum letzten Mal den Schlüssel umzudrehen…das wird sicher ein ganz böser Einschnitt in meinem Leben.

Was denkst du: Würde deine Stammkundschaft, wenn du in ferner Zukunft in Rente gehst, bittere Tränen weinen, oder ginge es weiter im Stile „business as usual“?

Da mache ich mir keine so großen Sorgen. Wahrscheinlich ist meine Stammkundschaft dann selber im Schnitt über siebzig Jahre alt und hat andere Sorgen als „wo bekomme ich meine Platten her“. Die allermeisten meiner Kunden sind in meinem Alter oder eben auch älter. Der sogenannte Vinylboom ist zwar vor allem der jüngeren, nachkommenden Generation geschuldet, allerdings kann ich nicht einschätzen, inwiefern es dort mit der Nachhaltigkeit aussieht. Gibt es auch bei den jüngeren Vinylhörern eine echte Beziehung zum Kulturgut Schallplatte oder kaufen sie nur, weil es gerade „cool“ oder „hip“ ist? Im Übrigen kann ich es sogar verstehen, dass diese jüngere Klientel woanders kauft – die haben eben keine Kohle, da wäre ich auch froh um jeden gesparten Cent.

Janis, du schreibst die Rezensionen auf deiner Webseite und in deinen Verkaufsbooklets selber. Das setzt voraus, dass du alle neuen Veröffentlichungen kennst oder zumindest kurz reinhörst. Ist das wirklich so?

Ja, das ist richtig. Mein Vormittag sieht so aus, dass ich sechs bis acht Platten höre und die entsprechenden Rezensionen schreibe. Dann mache ich Mittagspause und erst danach fange ich an zu arbeiten (lacht). Komme ich mal nicht dazu, diese sechs bis acht Platten zu hören und darüber zu schreiben, bildet sich eine Halde: Da steht sie (zeigt auf einen mittelgroßen Plattenstapel und lacht wieder). Eine kleine Marotte von mir, die unternehmerisch eher suboptimal ist, sich jedoch schon immer so dargestellt hat: Ich setze neue Platten erst dann auf meine Webseite, wenn ich sie gehört und rezensiert habe. Kommt es dazu, dass ich, wie momentan, in Rückstand gerate, ist es wahrscheinlich, dass andere beim Verkaufen schneller sind als ich. Fatal, oder? Aber ich kann nicht anders. Ein Beispiel: die aktuelle Red Hot Chili Peppers, die seit letzter Woche auf dem Markt ist. Ich bin noch nicht dazu gekommen sie zu hören, also steht sie auch noch nicht auf meiner Homepage. Bei manch anderem Mitbewerber ist sie wahrscheinlich schon seit vier Wochen online und man konnte sie vorbestellen. Die echten Fans und die Sammler brauchen dafür eh keine Rezension; aber das ist einfach mein Anspruch: Ohne Besprechung und Anhören der Platte kommt nichts in den Verkauf.

Ich habe in deinem Laden kein Handy oder andere digitale Gerätschaften entdecken können, den PC mal ausgenommen. Hat das Methode oder hast du alles nur gut versteckt, um der analogen Welt ihren Platz zu lassen?

Ein Tablet oder Smartphone habe ich nicht. Mein relativ „normales“ Handy liegt wahrscheinlich zu Hause und möchte aufgeladen werden. Es ist ein Zugeständnis an meine Frau, die möchte, dass ich immer erreichbar bin. Allerdings benutze ich es tatsächlich nicht. Die zwei oder drei Mal, an denen ich das mobile Telefon gebraucht hätte, funktionierte es nicht, weil der Akku leer war (lacht und kriegt sich kaum ein). Ich kann es einfach nicht nachvollziehen, wieso jemand ständig ein Handy oder ein Smartphone nutzen sollte, wenn er nicht gerade Handelsvertreter oder Ähnliches ist. Ich komme sehr gut mit meinem Haustelefon sowie meinem PC aus – beides reicht mir völlig. Ich lebe gewissermaßen ein stilechtes, analoges Leben (wir lachen beide).

Du hast auch CDs im Programm, und wenn ich richtig sehe, hast du sogar einen CD-Player. Weißt du eigentlich, wo sich dort der Ein/Ausschalter befindet?

(Lacht herzhaft.)

Anders gefragt, wird der auch mal genutzt?

(Beruhigt sich langsam wieder.) Ja, schon, ich habe auch einige CDs im Programm, die man auf meiner Homepage unter „Audiophile CDs“ findet, auch diese muss ich hören und rezensieren. Im privaten Bereich haben die Dinger aber keine Chance, von mir aufgelegt zu werden. Wenn ich irgendwann mal Zeit habe, um zu Hause Musik zu hören, nutze ich sicherlich keine CDs. Es gibt noch so viele Platten, die ich noch nicht gehört habe: Das ist mein wirkliches Ziel; eines Tages alle Platten gehört zu haben. Dann kann ich mich immer noch um CDs kümmern.

Danke für das nette, aufschlussreiche sowie kurzweilige Gespräch.

Gerne. Hören wir uns jetzt noch etwas an? Ich habe schon einiges bereitgelegt (zeigt wieder auf einen mittelgroßen Plattenstapel und lacht)…