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Unmögliches ab Lager

Text von: Roland Kraft

Stellen Sie sich mal vor, Sie gingen zu einem Mercedes-Händler, suchten sich den Ver­käufer und präsentierten dem die Bestellung eines „Flügeltürers 300SL, aber bitteschön in Rot“. Die möglichen Reaktionen können wir uns lebhaft vorstellen: Sie reichen von einem veritablen Lachkrampf bis hin zu einem schnellen Anruf bei den freundlichen Herren mit den weißen Turnschuhen und den mit verdächtig vielen Schnüren versehenen en­gen Jacken …

Aber stellen wir uns auch mal vor, Sie hätten lediglich den Lachkrampf und den Hinweis auf die Tür geerntet. Aber draußen würde ein Mann stehen, der Sie geheimnisvoll zur Seite nimmt. „Äh – Ihr 300SL“, wispert der Fremde, „da ginge ja vielleicht schon was … Hätten Sie denn ein paar Euro übrig, für – äh – derart spezielle Wünsche?“ Und wir stellen uns jetzt miteinander vor, dass Sie tatsächlich, na ja, sozusagen willens und in der Lage wären, eine recht stolze Summe locker zu machen. Und daraufhin würde Sie unser Mann in eine Halle bitten, in der wunderbarerweise sogar mehrere 300SL in verschiedenen Farben stünden, allesamt sozu­sagen originalverpackt, mit null Kilometern auf den altertümlichen Tachos … Na ja, Träume. Träume? Äh – nö … Okay, klar, geht es um besagten Oldtimer, dürfen wir uns unseren Traum natürlich abschminken.

Geht es dagegen um etwas ganz anderes, dann könnten derart absurde Vorstellungen sogar mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthalten … Stellen wir uns also mal vor, Sie wären ein echter Röhrenfreak, entweder ein HiFi-Röhrenfreak oder ein an der Historie interessierter Röhrensammler oder vielleicht sogar die Mischung aus beidem. Und Sie glauben genau zu wissen, warum Sie sich eher für NOS-Ware („New Old Stock“) interessieren als etwa für schnöde russische oder chinesische Nachbauten. Aber Sie wissen auch, dass wir nun 2005 schreiben und nicht, na, sagen wir mal beispielsweise 1975. Denn so um 1975 herum hätten Sie – und übrigens auch ich – noch eine vergleichsweise stattliche Auswahl an NOS-Röhren vorgefunden und natürlich auch ganz andere Preise bezahlt. Oder anders formuliert: 1975 interessierte sich außer einigen ganz wenigen Sammlern, Radiofreunden und Amateurfunkern kein Mensch für die Restbestände an Radio- und Verstärkerröhren. Hätte also etwa ich damals damit gerechnet, wie knapp die Bestände heutzutage sind und wie ultrateuer Röhren werden würden, dann säße ich nicht mehr hier und würde diese Geschichte schreiben. No, Sir: Dann säße ich vielleicht schon in meinem Landhaus im englischen Cornwall. Und würde vielleicht gerade – süffisant lächelnd – ein originalverpacktes Paar Loewe-Opta-Trioden vom Typ AD1 sicher für den Transport nach Hongkong verpacken. Natürlich nachdem der Preis für die Raritäten auf meinem Konto eingegangen wäre, klar. Übrigens eine Summe, die mir locker gestatten würde, diesen Monat meine laufenden Kosten als anspruchsvoller Privatier zu decken.

Leider stellt sich die Situation jetzt, im Jahr 2005, ganz anders dar: Ich hatte den richtigen Riecher leider nicht. (Oder nur zum Teil, zumindest habe ich mich eingedeckt, als eine Telefunken ECC803S noch 15 Mark und nicht 150 Euro kostete). Denn die Nachfrage nach HiFi-tauglichen Röhrentypen ist in den letzten zehn Jahren geradezu explosionsartig angestiegen. Im Gefolge der damit verbun­denen Verknappung und erheblicher Preis­anstiege sowie durch weltweiten Online-Handel explodierten parallel dazu die Preise für Sammlerröhren und Röhren, die für die Restauration alter und uralter Radios be­nötigt werden. Hinzu kamen auch politische Veränderungen, die neue HiFi-Röhren-Fans und neue Röhrensammler auf den Plan riefen, beispielsweise aus China und Korea (in Teilen Asiens besitzt alte Technik mit „Telefunken“-, „Siemens“-, „AEG“- oder „Klangfilm“-Aufdruck einen geradezu magischen Ruf). Und nicht zu vergessen die erst ganz kurz vor der Jahrtausendwende vom Röh­renfieber gebeutelten Amerikaner, die dann erstaunt feststellen mussten, dass sich 80 Prozent ihres alten Dynaco-, MacIntosh-, Marantz- und Western-Electric-Equipments schon seit Jahren in Japan befand. Übrigens einschließlich eines nennenswerten Teils der interessanten alten US-Röhrenbestände.

Fakt ist, nun ist es mit den NOS-Röhren langsam, aber todsicher vorbei. Falls Sie unter den einst gut bestückten deutschen Radiosammlern nach bestimmten für HiFi- oder besser High-End-Zwecken tauglichen Röhrentypen fragen, beispielsweise AD1, RE604, 80er-ECCs, EF86 oder EL34 namhafter Hersteller, dann ernten Sie normalerweise irres Gelächter, meist verbunden mit dem Herunterrasseln der letzten, teils völlig abgehobenen eBay-Preise (die technisch versierten Radio-Opas halten den HiFi-Röhrenhype sowieso für groben Unfug). Ähnlich sieht es in den USA aus, wo insbesondere für in Verstärkern benötigte NOS-Röhrentypen (alle alten Leistungstrioden, diverse Noval- und Oktal-Doppeltrioden, außerdem natürlich 6550, KT88 sowie einige rare, für OTL-Schaltungen geeignete Gläser) inzwischen intergalaktische Preise verlangt werden – falls überhaupt noch etwas zu bekommen ist. Apropos eBay: Wie groß die Bedarfsnot ist, lässt sich allein schon dadurch diagnostizieren, dass sogar gebrauchte Röhren oder Röhren in völlig unklarem Zustand für hohe Preise über den Tisch gehen. Im Internet zeigt sich ohnehin ein deutlicher Trend: Bei den professionellen Händlern überwiegen längst neue Röhren russischer und chinesischer Herkunft, das Angebot an alten Röhren erstreckt sich bestenfalls noch auf kaum gebräuchliche Typen, Fernsehröhren oder wenige Ersatzröhren für 50er- und 60er-Jahre-Radios (sogar hier steigen jetzt die Preise kräftig an!). Und auch Beschaffungskünstler geben inzwischen zu, dass ihre Quellen allesamt kaum noch etwas hergeben. Was noch auftaucht, sind meist Einzelstücke, seltener Sammlungsauflösungen und jene Stücke, die von Unwissenden zunächst billig angeboten oder gar verschenkt werden. Dass eBay dabei weltweit die Preise an- und hochgetrieben hat, ist eine leidige Tatsache, zumal sich ein Anbieter nun der weltweiten Nachfrage gegenübersieht.

Eine D.E.T. 1 von MOV – Vorläufer der DA60

Schon für HiFi: zwei begehrte Telefunken-Trioden

So – das war die Analyse der Ist-Situation. Aber wie immer liegt hinter der Wirklichkeit eine weitere, versteckte Ebene. Die natürlich nicht jedem zugänglich ist … Um unser Röhrenlager mit Flügeltürern, SL-Cabrios und anderen Kostbarkeiten zu finden, muss man über gute Beziehungen verfügen. Und wenn möglich über eine Brieftasche, die es als ihre vornehmste Aufgabe ansieht, förmlich aus den Nähten zu platzen. Unser geheimnisvoller Röhrenhändler – wir nennen ihn jetzt mal Mister Tube – besitzt keinen Laden an der Straßenecke, keinen Versandbetrieb mit Katalog und schon gar keine Webseite mit Einkaufswagen. Sein einziges Marketing ist Mundpropaganda oder eine diskret weitergereichte Telefonnummer. Dass kein Name im Spiel ist, versteht sich von selbst. Und die Adresse bleibt ebenso ein gut gehütetes Geheimnis. Wegen einer einfachen TFK ECC803S bei Mister Tube nachzufragen, wäre freilich ziemlich profan. Seine Spezialität ist vielmehr Seltenes, Rares, nicht mehr Vorhandenes, an sich Unmögliches und hin und wieder ein kleines Röhrenwunder. Wie etwa eine originalverpackte Marconi/Osram LS6 in ihrer ganzen, im Jahr 1929 produzierten Schönheit. Oder sollte sich Ihre Gier – denn um nichts anderes handelt es sich bei einem echten, harten Röhrensammler – eher auf eine dicke, fette und bekannt leistungsfähige 211er-Triode konzentrieren, auch die noch in jenem alten Originalkarton, der selbst in gut bestückten Vitrinen nur selten zu finden ist? Oder haben Sie wirklichkeitsfremd träumend beschlossen, sich selbstbautechnisch durch uralte originale US-Trioden vom Typ 205R, VT52 und 50 zu fräsen, was angesichts des HiFi-Bedarfs von zwei gleichen, noch gut emissionsfähigen Exemplaren pro Verstärkerkanal einen Wunsch darstellt, den Sie eher mit Ihrem Therapeuten besprechen sollten? Oder zählen Sie zu jenen röhrenbegeisterten Japanern, die beim Anblick eines Stapels voller Western-Electric-Kartons – oder einer „Monoplate“-2A3 – schon reflexartig das Scheckbuch zücken?

Nix für HiFi, aber ein Kleinod für den Röhrensammler

Frühe 300Bs erreichen mittlerweile vierstellige Preise

Glauben Sie mir: Dieser Report war für mich keine leichte Aufgabe. Obwohl mir die heiligen Hallen des Mr. Tube nicht unbekannt sind und obwohl meine eigenen Bestände keineswegs als unbeträchtlich gelten dürfen, ist es doch so, als setzte man einen frisch gebackenen Nichtraucher mitten in der Zigarettenfabrik ab. Der Röhrenjunkie wähnt sich bei Mr. Tube zunächst wie im Paradies, während es in Wirklichkeit die Hölle ist. Juckt es den röhrensüchtigen Sammler doch in den Fingern, die Kostbarkeiten allesamt an sich zu bringen. Wäre ich Millionär, hätte ich das Etablissement deutlich ärmer, aber schwer beladen verlassen. Was ich dagegen wirklich davontragen konnte, waren leider nur Fotos, die den Umfang der Schätze aber bestenfalls ansatzweise zeigen können. Diverse Fächer blieben der neugierigen Kamera verschlossen, beispielsweise deshalb, weil es sich um langfristig angelegte, sichere Aktien handelt, andere deswegen, weil sie rein spekulative aktuelle Anlagemöglichkeiten repräsentieren, deren Preise noch nicht hochgetrieben werden sollen. Zum Bestand zählt selbstredend auch unverzichtbares und in der Praxis oft schwierig erhält­liches Zubehör, wie etwa Röhrenfassungen jeder Art sowie die alten Datenbücher, Letztere meist in hervorragender Qualität nachgedruckt. Überhaupt sind äußerst präzise Röhrenkenntnisse unerläßlich für dieses Geschäft, nicht zu vergessen solide Prüfmöglichkeiten, manifestiert durch eine reprä­sentative Auswahl namhafter Röhren-Prüfgeräte.

Noch viel wichtiger ist allerdings ein geradezu detektivischer Spürsinn, verbunden mit Ausdauer, Verschwiegenheit und – vielleicht am schwierigsten – einer gesunden Portion Abstand zum Metier. Sie wissen schon: Wenn der Wirt selbst der beste Kunde ist, kann das nicht lange gut gehen. Logischerweise handelt es sich bei Mister Tube nur insofern um einen Röhrensammler, als er sich nach er­folg­reicher Jagd auch wieder von der Beute trennen kann. In Bezug auf Spürsinn dürfte es sich bei Mr. Tube um den möglicherweise Besten seines Faches handeln – doch auch er gibt mittlerweile zähneknirschend zu, dass die Röhren-Endzeit angebrochen ist. Was derzeit noch auf Lager sei, so unser Mann, stelle allen Anzeichen nach das Ende der NOS-Fahnenstange dar … Mir wurde jedenfalls erstmals der gute Rat gegeben, vielleicht jetzt noch einmal zuzuschlagen … Den letzten Beweis für die Änderung der Beschaffungslage lieferte obendrein ein neues Lager, in dem es um ganz andere alte Technik ging.

Machen Sie es doch wie ich: Betrachten Sie die Fotos zwar mit Schwermut, aber auch mit dem Wissen, daß diese Schätze letztlich zwar in verschiedene Hände kommen, aber immerhin in solche, die den Wert der Altertümer zu schätzen wissen.