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McIntosh MC-275

Text von: Cai Brockmann

Was fällt Ihnen spontan zu „DAS amerikanische Motorrad“ und „DAS amerikanische Erfrischungsgetränk“ ein? Etwa Buell und Dr. Peppers? – Na also! Und hier kommt DER amerikanische Röhrenverstärker.

Die ganz große Show, das hemmungslose Zurschaustellen von Power, dieses „Hau­ruck, wir können alles, nur nicht dezent“, das haben sie wirklich voll drauf, die Amerikaner. Zurückhaltung ist halt was für europäische Bedenkenträger. Zeig, was du hast, und sei gefälligst stolz drauf – so geht das!

Heute ist ein besonderer Tag. Heute ist der Tag, an dem sich die vielleicht berühmteste Röhren-Endstufe der HiFi-Geschichte, die McIntosh MC-275, endgültig in mein Ge­dächtnis brennt: als außerordentlich talentierter Kraftmeier, als musikalischer Wonneproppen, als audiophile Drucksache. Wow! Die 2 x 75 Watt der MC-275 reichen tatsächlich völlig aus, um an meinen Lautsprechern in meinem Wohnzimmer mit meinen Scheiben einen derartigen Musiktornado zu entfesseln, dass kein Stein auf dem andern bleibt. Dieses Ding will einfach nicht in die Knie gehen! Kein Wunder, bestätigt mir Roland Kraft, es ist ja auch eine McIntosh, der Inbegriff für saubere Power seit über 50 Jahren. Und schon verfasst er freundlicherweise ein kleines technisches Essay zum Thema, das Sie an anderer Stelle im Text lesen können. Danke, Herr Kollege, dadurch kann ich mich noch ungehemmter und tiefer in die Musikauswahl stürzen. Schließlich gilt es, die ganze Tragweite einer besonderen Endstufe einer an besonderen Endstufen keineswegs armen Firma zu erkennen. Denn die MC-275 ist ja, ich erwähnte es bereits, nicht irgendeine McIntosh-Endstufe, sondern mög­licherweise die bekannteste überhaupt. Präsentiert im Jahre 1961, gebaut bis 1973. Dann, als Hommage an den verstorbenen McIntosh-Mitgründer und -Chef Gordon Gow, im Jahre 1995 zur Freude vieler Röhrenfans neu aufgelegt. Wobei die Resonanz auf diese Wiederauflage – immerhin war McIntosh zu diesem Zeitpunkt bereits tief in der Transistortechnik verankert – so positiv ausfiel, dass weitere Reissues folgten. Das aktuelle Modell ist bereits Neuauflage Nummer vier und sieht, zumindest äußerlich, ihren Urahnen immer noch höchst ähnlich. Sie versprüht unver­ändert den Harley-Davidson-Charme der Schwergewichtsliga und liefert selbstredend die 2 x 75 Watt aus ihren vier KT88-Gläsern, die ihr das Kürzel 275 verpasst haben. Daher also noch einmal und in aller Deutlichkeit: Wow!

Heute ist übrigens auch ein besonderer Tag für McIntosh. Denn heute erweitert die berühmte Firma ihr ohnehin schon beeindruckendes Produktportfolio um ein weiteres Modell, das ebenso Geschichte schreiben wird: McIntosh proudly presents the MC2KW! Ein verstärkertechnischer Overkill im Triple-XL-Format, angeblich zum Musikhören gemacht, augenscheinlich aber zur Übernahme der Weltherrschaft gedacht. Auf zwei der drei Monsterblöcke prangt die stilisierte Weltkugel des Firmenlogos, der dritte Block leuchtet mit dem berühmten blauen Leistungsanzeigeinstrument, groß wie ein Plasmabildschirm, ins Zentrum der Macht, also möglicherweise in Ihr Wohnzimmer. Und falls Sie glauben, das Kürzel dieser waffenscheinpflichtigen Endstufe hätte irgendetwas mit der Leistung zu tun, liegen Sie sowas von – richtig: McGodzilla prügelt im Elektronenrausch mit 2000 Watt auf die bedauernswerten Lautsprecherchassis ein. Zwei Kilowatt, Freunde! Das hätten die Beatles gern zur Verfügung gehabt, als sie Mitte der Sechziger beschlossen, nie wieder live zu spielen, weil zum Beispiel die Beschallungsanlagen zu schwach waren …

Aus Russland: Die KT88 ist die berühmteste Beampower-Tetrode überhaupt; McIntosh setzt auf einen sehr guten russischen Nachbau der alten MOV Gold Line

Mit eigener Bezeichnung versehen: JJ stellt mit der ECC83S eine professionelle, besonders gute Variante der 83er-Doppeltriode her

Die erscheint dann in Form des „kurzen“ SPU-A Mono im Bakelitgehäuse, das in asiatischen Sammlerkreisen legendären Ruf genießt. Die Serie wird nur noch mit exklusiven Modellen fortgeführt.

McIntosh MC-275 – Einblicke in die Schaltungstechnik

Mit der MC-275 und ihren Ahnen – insbesondere MC-30 und MC-240 – läuteten Gordon Gow und Frank McIntosh zweifellos eine neue Ära in Sachen Röhrenverstärker ein. Denn ihre innovative, sogar bis zum heutigen Tag einzigartige Schaltungstechnik löste mit einem Schlag eigentlich gleich zwei Probleme, die den Konstrukteuren immer schon zu schaffen gemacht hatten.

Zum einen ging es schlicht um Leistung: Waren mehr als 30, 40 saubere Watt gefordert, dann stand am Schluss womöglich ein 50-Kilo-Schränkchen auf dem Tisch, ein Umstand, den McIntosh und Gow auch mit ihrem Erstlingsverstärker zu vergegenwärtigen hatten. Noch unter dem Label CRE („Consulting Radio Engineering“) gefertigt, brachte dieses unter Zuhilfenahme von sechs 807-Tetroden gebaute Ding zwar 50 Watt an die Schraubklemmen, wog dafür aber auch 62 Kilogramm. Die Lektion, dass man superschwere Riesenverstärker vielleicht an Studios, aber kaum an Endverbraucher ver- kaufen kann, war schnell gelernt.

Das zweite Problem betraf die Qualität, damals in erster Linie dokumentiert durch Verzerrungsmessungen unter Berücksichtigung des geforderten Frequenzgangs. Neue, erstmals wirklich an „High Fidelity“ orientierte Betrachtungen forderten rundheraus 20 Hertz bis 20 Kilohertz, das Ganze bitteschön blitzblank, und das auch bei sehr tiefen Frequenzen. Genau dort machten die zwar höchst effizienten, aber eben auch verzerrungsträchtigen B-Verstärker die größten Probleme. Der reine B- oder auch der so genannte AB2-Betrieb erschien der damaligen effizienzbesessenen Röhrentechnik als höchst reizvoll, konnten doch notfalls zwei übliche Tetroden wie etwa die äußerst beliebte 6L6 in Push-Pull-Schaltung schon mal an die 50 Watt aus dem Ärmel schütteln – allerdings verbunden mit weniger „highfidelen“ Messwerten.

Der Ruhm von McIntosh gründete sich auf diesen kleinen Verstärker: die 50-2 mit ihrer bemerkenswert symmetrischen Schaltungstechnik, Zwischenübertrager und der ungewöhnlichen McIntosh-Ausgangsstufe, bis Ende der 40er von McIntosh entwickelt. Die Rede ist von den grundlegenden Schaltungspatenten der Modelle MC-30, MC-240 und MC-275. Letzteres Modell wurde in einer Replika erneut aufgelegt, erreicht jedoch nicht den legendären Sound einer originalen McIntosh MC-275. Bereits die Ausgangsübertrager der originalen MCs stellen eine Besonderheit dar, Stichwort: Bootstrapwicklungen für Steuerstufen, Mitkopplungen der gegenüberliegenden Phasen usw. Hier beschreibt die gesamte Konzeption einen Verstärker, der auch noch in heutiger Zeit vielen Wiedergabeansprüchen klanglich absolut gerecht wird. (Quelle: Jean Hiraga, „Initiation Aux Amplis A Tubes“)

Der Weg aus dem Dilemma war lang und steinig. Und er führte zuerst über einen kleinen Verstärker namens „50-2“, der unscheinbar aussah, aber einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu etwas darstellte, was man angesichts der Möglichkeiten der Röhrentechnik sogar unter heutigen Gesichtspunkten als sehr perfekt bezeichnen muss. Dreh- und Angelpunkt der berühmten McIntosh-Technik war und ist der Ausgangsübertrager, der nun deutlich komplexer als vorher ausfiel und zudem nach sehr viel präziserer Fertigung als bisher verlangte. Es galt, nunmehr drei Primärwicklungen aufzubringen, von denen zwei sogar bifilar gewickelt und symmetrisch zueinander angeordnet sein mussten. Sowohl Kathode als auch Anode und sogar Schirmgitter beider Endröhren waren jetzt am Übertrager angeschlossen, um etwas zu bewerkstelligen, was man als Kathoden-Gegenkopplung und Anoden/Schirmgitter- Kreuzkopplung oder „Mitkopplung gegenüberliegender Phasen“ eher unbeholfen beschreibt. Das Ergebnis sprach freilich für sich: 50 Watt aus nur zwei 6L6G und weniger als ein Prozent Klirrfaktor – sogar noch bei Vollaussteuerung und zwischen 20 Hertz und 20 Kilohertz. Für die technisch versierte Röhrengemeinde damals nichts weniger als ein Schock, der auch als Fundament zukünftiger Ruhmestaten des Duos Gow/McIntosh gelten darf. So ganz nebenbei lohnte es sich auch, nicht nur auf die Ausgangsstufe der 50-2 zu starren. Die ist nämlich auch eingangsseitig von verblüffender elektronischer Schönheit gekennzeichnet und verbindet eine strukturell auf den ersten Blick simple, aber höchst effektive Röhrentechnik mit absoluter Symmetrie. Völlig zu Recht ein Meilenstein!

In der MC-275 geht die geniale McIntosh-Konstruktion allerdings noch einen ganzen Schritt weiter. Mit einer Art von so genannter „Bootstrapwicklung“ für die Anoden der Treiberstufen-Röhren – ursprünglich eine 12AZ7, nunmehr ein 12AT7-Kathodenfolger – nimmt die Komplexität der Ausgangsstufe durch die jetzt in den Endröhren/Übertrager-Komplex einbezogenen Treiber nochmals zu. Die beiden schweren Ausgangsübertrager mit Sekundärwicklungen für Vier-, Acht- und 16-Ohm- Lasten geraten endgültig zu potenziellen Meisterstücken einer Trafowickelei, die zusätzlich sogar eine weitere, unabhängige Gegenkopplungswicklung auf den Sekundärtrakt der Trafos aufbringen muss. Mehrfach, wie man sagt, „in sich“ und zudem über-alles-gegengekoppelt könnte die McIntosh durchaus das Bild eines schon zwanghaft linearisierten Endverstärkers vermitteln, der freilich – oder sollte man sagen: trotzdem – bekanntermaßen zu den bestklingenden Röhren-Leistungsverstärkern überhaupt zählt. Und 75 Watt aus zwei KT88 pro Kanal sind ja schon ein Wort. Wohlgemerkt einhergehend mit weniger als 0,5 Prozent Klirr bei voller Leistung! Womit die aktuelle MC-275 auch wieder engste Verwandschaft zum Urmodell geltend machen darf, in dem die wunderbare, zu Recht berühmte und gesuchte KT88 von MOV in den Fassungen steckte. Frühere Varianten der MC-275 – es gab ja immerhin vier Neuauflagen – benutzten wegen Endröhrenproblemen auch die verwandte, aber nicht so hoch belastbare 6550; wirklich brauchbare KT88 waren über viele Jahre kaum aufzutreiben, wovon leidgeprüfte MC-275-Nutzer durchaus ein Lied zu singen wissen ...

Zu beachten wäre, dass die 275 erdfreie Lautsprecheranschlüsse besitzt, folglich der negative „Com“- Anschluss nichts mit der Schaltungsmasse zu tun hat. Allen Varianten der MC-275 gemeinsam ist die Option, die beiden Kanäle auf Monobrücken-Betrieb zu schalten und sich über resultierende 150 Watt zu freuen. Hinter den wahlweise auch symmetrischen Eingängen steckt gleich eine 12AX7 (ECC83) in der Fassung, gleichspannungsgekoppelt gefolgt vom Phasendreher, den symmetrisch angeordneten Triodensystemen einer weiteren 12AX7. Früher benutzte McIntosh dann eine kräftige Doppeltriode vom Typ 12BH7 als Spannungsverstärker, ein Job, den nun die beiden Systeme einer 12AT7 (ECC81) übernehmen. Über Koppelkondensatoren gelangen die Phasen des Signals dann zur schon erwähnten Kathodenfolger-Treiberstufe. Etwas einfacher geht es im Netzteil zu: Ein einziger dicker Trafo liefert alle Versorgungsspannungen einschließlich der Heizungen. Und eine Siebspule, unsichtbar unter dem Chassis montiert, kümmert sich im Teamwork mit einer ganzen Phalanx von Kondensatoren um gegeneinander entkoppelte Anodenspannungen für die einzelnen Stufen des Verstärkers. Zusätzliche Feinsicherungen sollen im Ernstfall Schlimmes verhüten, wobei die McIntosh-Schaltung aufgrund ihrer Betriebsweise alles andere als einen Röhrenfresser darstellt. Übrigens sollte die Endstufe rein technisch gesehen nicht unbedingt auf höchst präzise, in Bezug auf Ruhestrom gematchte Röhren angewiesen sein; in der Praxis profitiert aber auch die MC-275 von Gläsern mit möglichst gleichen Daten. Gute KT88 aus russischer Fertigung stellen zudem kein echtes Beschaffungsproblem mehr dar. Auf Nummer Sicher geht, wer den hübschen Originalersatz mit McIntosh-Aufdruck ordert.

Roland Kraft


Unterm Chassis: Die Siebspule fürs Netzteil ist hier ebenso versteckt wie die roten Koppelkondensatoren MKP10 von Wima. Eine Ruhestromeinstellung ist nicht vorgesehen

Zurück zu meinem Probanden. Was bin ich plötzlich froh, dass die MC-275 ein so niedliches, kleines Schatzkästchen ist. Eigentlich erstaunlich, dass McIntosh sich noch traut, ein so zartes, schwaches Pflänzchen in die böse weite Welt hinauszuschicken …

Höchste Zeit für eine Neuorientierung.

Es gibt etliche Lautsprecher am Markt, die mit 75 Watt noch lange nicht zufrieden, geschweige denn ausgereizt sind. Darunter sind auch verschärfte Varianten zu finden, denen man de facto nur mit der verstärkertechnischen Brechstange Manieren beibringen kann und für die man im Zweifelsfall einen Spezialtarif mit dem örtlichen Stromlieferanten abschließt. Die Rede ist von audiophilen Weichsicken-Trägern mit extrakomplexen, saugkreisbestückten Frequenz­weichen, von superkompakten Räumlichkeitswundern mit absurd tief abgestimmtem Bass aus exakt null Volumen, von Einskommairgendwas-Öhmern mit zig Polypropylenmembranen, von exotischen Flächenstrahlern – all das sind Schallwandler, die nur mit reichlich Leistung zufrieden zu stellen sind. Da geht’s unversehens steil bergauf mit der benötigten Power, im gleichen Atemzug berg­ab mit der Stabilität des Amps. Mitunter werden da ein paar Hundert Watt schneller vernichtet, als die allermeisten Amps liefern können.

Ich besitze keine derartigen Wattsäufer (mehr). Ganz im Gegenteil: Meine Dynavox 3.2 zum Beispiel läuft schon mit einer knappen Hand voll Watt problemlos, obwohl sie mit weit über 100 Watt belastbar ist – bei 96 Dezibel Wirkungsgrad eine eher theoretische Größe. Ich hab’s jedenfalls noch nie ausgereizt. Mein Einstieg in puncto Effizienz beginnt derzeit mit der Stereofone Dura (Test in image hifi Nr. 63), einem Sechs-Ohm-Dipolstrahler mit einem Wirkungsgrad von knapp unter 90 Dezibel. Schon für einen solchen Lautsprecher reicht die MC-275 in den allermeisten Fällen spielend aus, gar keine Frage. Kaum ein Musikstil bringt diese Kombination je in ernsthafte Schwierigkeiten. Es donnert und strahlt, attackiert und pumpt, massiert und fließt, wie es sein muss: sauber nämlich und subtil spürbar, mit ordentlich Drive und Druck und trotzdem feiner Finesse. Da müsste die 275er schon einen sehr großen Raum beschallen – wahlweise einen Stromsauger aus der Lautsprecherhölle bedienen müssen –, um an ihre Grenzen zu stoßen.

Es ist schon erstaunlich: Die gute alte/neue McIntosh steht da wie ein kompakter Eisenberg und liefert Power, Glanz und Gloria frei Sofa. Warum eigentlich, geht es mir plötzlich durch den Kopf, lässt sie ihre Röhrenpracht nicht noch ein paar Lux heller glimmen? Wäre das angesichts des Edelstahl-Chassis, der mattschwarzen Trafobarren und des unübersehbaren Schriftzugs nicht sogar recht und billig? Klar, die „Leuchtstärke“ der Röhren ist natürlich technisch determiniert. Aber wenn schon eine sauber aufgereihte Glaskolben-Elf im Halbdunkel eine gediegene Weihnachtsstimmung in den Frühling zaubert, dann wird man sich doch noch was wünschen dürfen … Das Mc-typische blaue Anzeige-Instrument vermisse ich an der MC-275 jedenfalls nicht, ich hätte es sowieso ausgeschaltet. Da wäre mir ehrlich gesagt ein kleines Betriebslämpchen lieber, falls beispielsweise mal die Sonne ins Zimmer scheint und gerade keine Musik läuft. Vernehmliches Rauschen oder signalfremde Geräuschartefakte sind mit dieser Endstufe nämlich Fehlanzeige. Das Ding ist ohne ­Signal praktisch mucksmäuschenstill. Fast schon gefährlich still, wenn Sie wissen, was ich meine.

Die selbstbewusste, leicht asymmetrische Gestalt der MC-275 ist historisch bis in sehr frühe McIntosh-Tage zurückverfolgbar. Die markante Front trägt sowohl die „Faltecke“ als auch den berühmten Schriftzug mit ausgesprochener Würde. Allerdings ist mir bis zuletzt nicht klar geworden, warum eigentlich auf beiden Seiten(!) Kabel andocken müssen. Hätte nicht wenigstens die rechte Netzbuchse auf der Rückseite Platz gefunden? Die linke Seite der Endstufe allein fordert nämlich schon zu Diskussionen mit der Ästhetikabteilung des Haushalts heraus. Immerhin, hier sitzen die vielfältigen Terminals, hier wird geschaltet und gewaltet: Drei überraschend kleine Schalter sind für Netz, Eingang und Betriebsart zuständig, zwei Buchsenpaare nehmen XLR- und Cinch-Kabel auf, wobei der unsymmetrische Eingang sogar eine kanalgetrennte Pegelregelung bietet. Sehr praktisch, um mit unterschiedlichsten Vorverstärkern und Lautsprechern zurechtzukommen.

Weniger gut finde ich die Schraubklemmenleisten fürs Lautsprecherkabel: Nach alter Vätersitte quetschen Kreuzschlitzschrauben und Beilagscheiben die Kabel­enden – am besten mit einem kleinen Kabelschuh versehen – fest. Okay, einen passenden Schraubendreher habe ich immer und über­all dabei, und über den 16-Ohm-Abgriff werden sich wahre Fans freuen. Gleichwohl sind die Anschlüsse entschieden zu klein und zu fummelig. Im historischen Kontext mag die vergoldete Doppelleiste unverzichtbar erscheinen; ich jedoch kann diesem Anachronismus nichts abgewinnen. Aber wer weiß, vielleicht hat diesbezüglich ja die fünfte Wiederauflage mehr zu bieten … (Träum weiter, Brockmann!) Herausragend dagegen ist der betriebene Aufwand, um die Endstufe jederzeit sicher transportieren zu können. Die so genannte Umverpackung ist im Prinzip das Einzige, das mir an der McIntosh MC-275 irgendwie europäisch vorkommt – was ich selbstverständlich positiv verstanden wissen will. Unglaublich: Selbst das kleinste Schaumstoff-Fitzelchen der vorzüglichen Verpackung ist mit einer eigenen Bestellnummer(!) ausgestattet, falls mal irgendetwas fehlt (bei Erstbesitz absolut undenkbar), verloren geht (na, na!) oder der Karton beim nächsten Wassereinbruch davonschwimmt (Ach, Monaco, Sylt und Hawaii, das sind ja alles unsichere Gebiete …)

Nach dem allerersten Einschalten genehmigt sich die frisch dem Karton entnommene 275 ein paar Stunden, um Röhren und Bauteile ein- und freizuspielen; man kennt das ja. Die ersten 15 bis 30 Betriebsstunden lässt man das Tier ein paar musikalische Dehnungsübungen ausführen, um Feinmotorik und Flinkheit zu trainieren, danach ist es praktisch domestiziert, frisst gefügig aus der Hand des Vorverstärkers. Und was sich bereits zu Beginn, noch ein wenig dämmrig-träge, angedeutet hat, wird nunmehr zur hellwachen Gewissheit: Trotz aller unmittelbaren Kraft pflegt die McIntosh eine erstaunlich behende Fortbewegungsart. Der be­fürchtete Elefant-im-Porzellanladen-Effekt tritt nicht ein, ungelenke Polterei ist kein Thema. Dafür gibt’s Durchzugsreserven bis zum jüngsten Tag – sofern der Lautsprecher passt – und die Option, die Power per Monoschalter auf das Doppelte, nämlich 150 Watt, hochzutreiben, was den grobdynamischen Horizont noch ein wenig weiter nach oben verschiebt. Um plus drei Dezibel, um genau zu sein.

Möglicherweise übersetzt McIntoshs MC-275 tatsächlich klassisches Harley-Feeling ins Wohnzimmer: Nicht unbedingt die allergelenkigste Wahl für engkurvige Serpentinen, doch in freiem Geläuf und über Land ein bäriges, mitreißendes Erlebnis mit Kultcharakter. Hat man sich zum Beispiel einmal daran gewöhnt, dass die Maschine schon ab Standgas volles Drehmoment liefert, die 275 also willig nach vorn drängt und großen Orchestern und starken Werken mühelos den nötigen Nachdruck verleiht, so ist man auch gern bereit, kleinsten Details, die ins Ätherisch-Atmosphärische hineinreichen, keine übermäßige Beachtung mehr beizumessen. Nicht, dass wir uns da falsch verstehen: Es ist alles an musikalischer Information da – Dimensionen, Dynamik, Timing, Timbre – und auch an der richtigen Stelle. Doch es kann mit der MC-275 keine Rede von „Mitteltonmagie“ oder gar „Euphonie“ sein. Dazu hat der Verstärker sich selbst viel zu sehr unter Kontrolle (siehe Technik-Essay), als dass er irgendwas dazudichten würde, was nicht auf dem Tonträger vorhanden ist. Im Zweifelsfall scheint er sogar eher auf die allerletzte Verästelung im Räumlichkeitsgespinst, auf praktisch nicht mehr nachweisbare Ausschwingvorgänge zu verzichten, als sich der Untreue schuldig zu machen. Zugegeben, das kann bei empfindlichen Naturen durchaus den Eindruck erwecken, als sei da irgendwo eine klitzekleine „Rauschfilterung“ am Werk, die allersubtilste Feinheiten lieber ins schwarze Nichts entlässt. Fakt ist vielmehr, dass Details keine extra prominente Hervorhebung erfahren, sondern sich einfügen müssen.

Vom Feinsten: Typisch für McIntosh sind die extrem aufwendigen, superspeziellen Ausgangsübertrager. Für die aktuelle Wiederauflage der MC-275 sollen sie noch einmal verbessert worden sein

Es ist angerichtet: Die beiden Potentiometer regeln ausschließlich den unsymmetrischen Cinch-Eingang. Wer’s strenger braucht, schaltet die MC-275 auf Monobetrieb mit doppelter Leistung und bestellt sich ein zweites Exemplar

Sei’s drum: Diese Endstufe ist eine rundum gelungene Wucht, gegossen in Metall und Glas. Und die Schokoladenseite der dergestalt materialisierten MC-275 ist nun mal ihre ausgesprochen homogene Selbstverständlichkeit, verbunden mit einer herrlich breitbandigen, extrem trittfesten und alles andere als vergeistigten Tonalität. Kurz: Streichergruppen wogen und branden, das vielfache Blech schmettert und schwillt sonor auf und ab, und Schlagwerk aller Art ist ohnehin ein erfreuliches Thema. Sängerinnen und Sänger haben exaktes Format und individuelles Timbre, sind griffig und präsent, und man kann sie wirklich gut verstehen. Über den McIntosh verschmiert nichts.

Da sich der McIntosh MC-275 beharrlich weigert, in Schönheit oder Anmut oder gar wegen Überlastung zu sterben, nutze ich seine ehrliche Standhaftigkeit zu einem letzten, aber stundenlangen Menü aus grandiosen Scheiben, bevor er zurück an den Distributor geht. Als Appetizer schichte ich mit „Make It Real“ von Mouth Music (auf Shorelife; Triple Earth TRECD113) ein paar synthetisch-subsonische Basslagen auf, bevor zum ersten Hauptgang mal wieder Regatta d’Blanc, das frühe Meisterwerk von The Police, in voller Pracht durchläuft – und ich danach absolut keine Lust mehr verspüre, mir als Intermezzo Sting solo anzutun – zuviel der gutmenschlichen Jazzattitüde. Es muss schon etwas Handfesteres sein: Ein paar Alben von funky Saxmaster Maceo Parker fallen mir in die Hände, und auf jedem ist wenigstens eine Hand voll schweinecooler Grooves drauf, die schlichtweg nach einer, nun, ordentlichen Abhörlautstärke verlangen. Jawoll – zum Reinbeißen gut! Als Dessert leiste ich mir noch ein paar schwere Brocken von meinen Lieblings-Gustavs aus der Klassikabteilung, nämlich Holst und Mahler. Und statt mit Espresso erreiche ich mit zwei kurzen Alben von Die Antwort die gleiche Wirkung.

Was bleibt, wenn der MC-275 wieder zurück muss? – Die Erinnerung an einen echten, sympathischen Macho von Verstärker, der sein strenges Regime mit Musenkuss und ordentlichen Manieren durchzusetzen versteht. Er ist das Gegenteil eines Träumers, weint nie, zeigt stattdessen gerne Muskeln und ist ganz sicher nicht das Ätherischste, was ich je gehört habe, sondern ein ehrlicher, erdiger, handfester Kerl. Er liebt den Rock ’n’ Roll, große Gesten und große Besetzungen, besitzt Zug und Soul, Druck und Funkiness. Und wenn jemand mit solcher Energie und solch kurzen Zügeln schlichtweg nie auf die Nerven geht, egal mit welchen Lautsprechern, dann ist allein diese Tatsache schon ein bemerkenswertes Kunststück.

Geräteinformation

Röhrenbestückung: 4 x KT-88, 4 x 12AT7, 3 x 12AX7A

Leistung (Herstellerangabe): 2 x 75 Watt, gebrückt 1 x 150 Watt

Eingang: 1 x symmetrisch (XLR), 1 x unsymmetrisch (Cinch)

Ausgänge: Lautsprecherklemmen mit Trafoabgriffen für 4, 8 und 16 Ohm Lastimpedanz

Besonderheiten: kanalgetrennt regelbarer Eingangs­pegel für unsymmetrischen Eingang, Mono-Betrieb und Eingangswahl schaltbar

Maße (B/H/T): 43/18/32 cm

Gewicht: 30 kg

Garantiezeit: 24 Monate

Preis: 3980 Euro

Kontakt

www.audio-components.de