Von drei Musketieren und extremem Maschinenbau
Text von: Eric van Spelde
Wenn man sich ohne Vorkenntnisse ein Bild vom Schöpfer des „teuersten Plattenspielers der Welt“ machen würde, entspräche es aller Wahrscheinlichkeit nach in nichts der realen Person Rainer Horstmann. Dabei hatte der überaus liebenswerte, bescheidene Tüftler und gelernte Maschinenbauer den im Netz oftmals erwähnten Preis für sein ambitioniertestes Werk Dereneville VPM-2010 ursprünglich nur genannt, um den Druck der Öffentlichkeit erst mal loszuwerden und in aller Ruhe daran weiterarbeiten zu können.
Es gibt Menschen, die sind einem schon aufgrund der Dinge sympathisch, die man über sie gehört hat, bevor man ihnen tatsächlich begegnet. Zu dieser Sorte gehört der 1950 geborene Rainer Horstmann. Arroganz, Geheimniskrämerei oder auch nur Voreingenommenheit einem Mitmenschen gegenüber, der zwar furchtbar gerne Musik von der Schallplatte hört, aber nie ernsthaft an einem Frästisch oder einer Drehbank gestanden oder eine richtige Arbeitszeichnung erstellt hat, sind ihm vollkommen fremd, (Gast-)Freundlichkeit, Zuvorkommenheit und Aufgeschlossenheit dagegen selbstverständlich. Im Übrigen ist Horstmann keineswegs ein unverbindlicher Tüftler, der seine Sache nur aus Spaß an der Freud macht. Immerhin hat er im Verlauf der letzten sieben, acht Jahre einen beträchtlichen Teil seines Privatvermögens in die Verfolgung seines Zieles investiert, eine möglichst perfekte Analogplattenwiedergabe zu erreichen, und hauptsächlich von einer kleinen Rente gelebt. Wesentliche Unterstützung erhielt er von seiner Lebensgefährtin Irene Dereneville, die nicht nur ihren Familiennamen als Markenbezeichnung zur Verfügung stellte, sondern ihrem Mann auch die Hälfte ihrer Doppelgarage als Werkstatt überließ. Allerdings sollte jetzt von den Investitionen langsam einmal etwas in die Kasse zurückfließen. Die Zeichen dafür stehen durchaus günstig: Mit der Dereneville-Magic-Mat, einer Plattenmatte aus 0,4 Millimeter Silikon auf einem Kern aus Glasfiber, die sich im In- und Ausland schon recht gut verkauft, und der pfiffigen, per USB-Kabel am Rechner vielfältig einstellbaren Motordose DAE-01 mit integrierter Steuerung liegen mittlerweile die ersten in größerem Umfang kommerziell verwertbaren Produkte vor. Auf der HIGH END 2016 erlebte zudem die Produktionsversion des Tangentialtonarms Dereneville DTT-02, seines neuen Mammutprojektes, am Laufwerk seines Kollegen und Mitbewerbers Holger Wilhelm von Tonetool ihre offizielle Premiere.
Angefangen hatte Horstmanns Beschäftigung mit Musik und Tontechnik, wie das häufig der Fall ist, schon zu Jugendzeiten. Geboren in Gütersloh in eher einfachen Verhältnissen, gab es für den jungen Rainer nur wenige Spielsachen – daher bastelte er schon früh vieles selbst. Recht schnell begann er, Lautsprecher zu bauen, und betätigte sich daneben als Schlagzeuger in einer Band. 1978 richtete sich Horstmann, der zu diesem Zeitpunkt bereits ein Maschinenbaustudium abgeschlossen hatte, dann im Keller der elterlichen Wohnung sein erstes Hobbytonstudio ein, in dem er Diashows vertonte, Konzertmitschnitte bearbeitete und Musikkassetten produzierte. Es dauerte nicht allzu lange, bis er sich auch an die Produktion seiner ersten Langspielplatte machte: Vom Gütersloher Nachtsanggeläut wurden 1981 in nur sechs Wochen 1200 Stück innerhalb des Gütersloher Landkreises verkauft. Es folgten weitere Produktionen im Auftrag von Kirchen, Chören und Bands. Aus dem Hobby wurde damit ein Beruf: 1982 ließ Rainer Horstmann ein großes Ton- und Filmstudio auf 900 Quadratmetern Fläche errichten. Allein das Aufnahmeatelier maß 150 Quadratmeter, bei 5,5 Metern Deckenhöhe. In den folgenden rund anderthalb Jahrzehnten entstanden dort etwa 500 Image- und Industriefilme, für die er fast immer selbst das Drehbuch schrieb. Dazu kamen rund 100 Rundfunk- und TV-Werbespots und nochmals 10 Musikalben. Das Gütersloher Nachtsanggeläut wurde 1990 zum ersten Mal mit Orgel und Bläserchorälen auf CD gebannt; ein Stück davon ist übrigens auch auf der bekannten Manger-Demo-CD und -LP Musik von einem anderen Stern verewigt.
1999 traf den inzwischen sehr erfolgreichen Unternehmer ein Schicksalsschlag: Ein schwerer doppelter Bandscheibenvorfall und die daraus resultierende totale Berufsunfähigkeit legten Rainer Horstmanns Leben über ein Jahr lang fast lahm. Es folgte der Verkauf des großen Studiokomplexes an einen Nachfolger, dem Horstmann weiterhin als Kundenberater für Film und Fernsehen zur Seite stand. 2002 entdeckte der Ostwestfale dann in einem Kiosk ein von einem Duisburger Verlag neu herausgegebenes „Magazin für analoges HiFi und Vinyl-Kultur“ namens LP. Schlagartig erkannte er, dass Vinylplatten und Analogplattenspieler zumindest in einem bestimmten Kreis noch immer „in“ waren und sogar mit teilweise beträchtlichem Aufwand neue Plattenlaufwerke, Tonarme und Tonabnehmer entwickelt wurden. „Erst dachte ich, bei den Preisen hätte sich ein Fehler eingeschlichen und es wäre stets eine zusätzliche Null hinter dem eigentlichen Betrag abgedruckt worden“, erinnert sich Rainer Horstmann. Bald wurde ihm aber klar, dass derartige Preise in der Tat aufgerufen und bezahlt wurden, um mit den betreffenden Geräten die Grenzen der Schallplattenwiedergabe auszuloten. Langsam entstand bei ihm der Wunsch, selbst ein neues, richtig gutes Laufwerk zu konstruieren.
2007 zog Horstmann gemeinsam mit seiner neuen Lebensgefährtin nach Lippstadt um. Angesichts der idealen Raum- und Platzbedingungen im neuen Domizil konnte er seine Idee, einen Plattenspieler zu bauen, endlich in die Tat umsetzen. 2009 wurde eine 1974er Deckel-FP2-Werkzeugfräsmaschine mit nachträglich angebautem Digitalsteuer- und Messgerät angeschafft und in der kleinen Werkstatt in der heimischen Doppelgarage installiert. Nun ging der Bau seines ersten Plattenspielers, des mittlerweile berühmten Dereneville VPM-2010, zügig voran. Allerdings galt es, dem ohne jegliche Kompromisse entworfenen Laufwerk und erst recht dem dazugehörigen Tangentialtonarm noch Leben einzuhauchen, denn im Bereich der elektronischen Steuerung von diffizilen Arbeitsvorgängen kannte Horstmann sich weniger aus. Da traf es sich gut, dass Lippstadt seit jeher die Heimat von Hella ist, einem der großen Zulieferer und Entwickler für die Automobilindustrie im Bereich Fahrzeugelektronik, der mit Behr-Hella Thermocontrol auch in der Klimasteuerung führend ist: Mit Dipl.-Ing. Johannes Gremme und Dr. Hans-Bernhard Bröcker gewann das Projekt zwei enthusiastische Mitstreiter, die halfen, dem großen Laufwerk das Laufen beizubringen. Seither kommen die beiden des Öfteren am Wochenende vorbei, um gemeinsam mit Horstmann weiterzuentwickeln, zu testen und zu bauen. Dass dabei gerne auch mal Bauteile zum Einsatz kommen, die für den Automobilbereich in großen Stückzahlen hergestellt werden und einem Einzelkämpfer wie Horstmann sonst in vergleichbarer Funktionalität und Präzision gar nicht oder nur zu einem indiskutablen Preis zur Verfügung stünden, ist schon fast selbstverständlich.
Im Herbst 2011 war es dann so weit: Anlässlich des alljährlich von der Analogue Audio Association abgehaltenen Analog Forums im Mercure Hotel in Krefeld wurde das erste Dereneville-Laufwerk präsentiert. Wie angesichts des wirklich einmaligen Aufwands zu erwarten war, stieß es auf riesige Resonanz, auch wenn sich in ästhetischer Hinsicht an der Laufwerksbasiskombination aus blauem Corian und etlichen messing- beziehungsweise goldfarbenen Einlagen die Geschmäcker schieden. Von der Außenwelt isoliert wurde das 60 Kilogramm schwere Laufwerk mittels vier luftgefederten Standbeinen. Das Design war aber wohl wirklich das Letzte, was die drei Musketiere in ihrem Drang nach Perfektion bedacht hatten. Auch Sinn und Zweck der Kameraüberwachung für die Tonabnehmernadel – so hilfreich sie auch bei der Justage sein mochte – ließen sich im Übrigen nicht auf Anhieb jedem Interessierten vermitteln. Gleichwohl zog die Präsentation viele Komplimente von Fachleuten und Anrufe von Vinylenthusiasten aus aller Welt nach sich, die die Wahnsinnsentwicklung gerne kaufen und gar nicht glauben wollten, dass der VPM-2010 noch nicht fertig entwickelt war. Dazu kamen Berichte im Magazin der AAA sowie in etlichen Internet-Foren. Infolgedessen ließen Kooperationsangebote von Vertrieben aus den USA und China nicht lange auf sich warten. Bei einem der sich daraus ergebenden Gespräche, bei dem die sich bewerbende Vertriebsfirma einfach nicht lockerlassen und partout einen Preis für den Plattenspieler genannt haben wollte, obwohl Horstmann diesen noch längst nicht für marktreif hielt, hatte der Erbauer schließlich den Betrag von 500.000 Euro genannt, in der Hoffnung, dass damit vorläufig wieder Ruhe einkehren würde. So utopisch, wie diese Summe im ersten Moment klingen mag, ist sie bei näherer Betrachtung allerdings auch wieder nicht: Bis zu jenem Zeitpunkt hatte das Projekt allein für Materialien an die 40.000 Euro verschlungen, und wenn man einen angemessenen Stundensatz für Horstmann und seine beiden hoch qualifizierten Mitstreiter hinzurechnet, kommt schnell eine Summe zusammen, für die man in vielen Gegenden Deutschlands noch ohne Weiteres ein Reihenhaus kaufen kann. Zur Überraschung des Entwicklers akzeptierte besagter Vertrieb den von ihm genannten Betrag aber ohne viel Federlesen und warb damit in der Folge im Netz, wodurch der VPM-2010 mehr oder weniger offiziell das Label des „teuersten Plattenspielers der Welt“ erhielt.
Obwohl sich die Produktion einer Kleinstserie also durchaus lohnen könnte, kam es bislang aber nicht dazu. Stattdessen wurde 2012 ein zweites Laufwerk in Angriff genommen, diesmal ein direkt angetriebenes. Wie das erste arbeitet es mit einem Magnettellerlager, das imstande ist, den schweren, mehrlagigen Teller scheinbar schwerelos seine Runden drehen zu lassen. Mit diesem Prinzip handelte Horstmann sich allerdings ein Problem ein, das von den einschlägigen Herstellern bis dato nicht zufriedenstellend gelöst werden konnte und daher zumeist verschwiegen wurde: Die nachweisbare Beeinflussung des empfindlichen Tonabnehmersystems durch das starke Magnetfeld führt in der Praxis zu einer Veränderung der Auflagekraft während des Abtastvorganges. Durch das Einarbeiten mehrerer Mu-Metallscheiben in den Plattenteller – was aufgrund der Beschaffenheit dieses Materials schwieriger ist, als es sich anhört – gelingt es Horstmann aber, eine weitgehende Abschirmung des Abtastvorganges vom unterliegenden Magnetfeld zu erreichen. Wohl einmalig ist auch, dass bei seinen Laufwerken die Seitenführung des Tellerlagers von zwei Kugellagern übernommen wird. Die zur Schaeffler-Gruppe gehörende FAG hat bereits Interesse daran bekundet, diese Art der Lagerung für ihre Labormesstische zu übernehmen.
Bisher ist das Direct-Drive-Laufwerk Dereneville DD-01 allerdings noch nicht über den Prototypstatus hinausgekommen, da die Prioritäten mittlerweile wiederum anders gelegt wurden: Neben der Entwicklung eines modularen Laufwerks stand zunächst eine grundlegende Überarbeitung beziehungsweise Weiterentwicklung des tangentialen Tonarmkonzeptes im Vordergrund, das endlich zur Serienreife gebracht werden sollte – stellt es doch so etwas wie den roten Faden in der Geschichte des jungen Betriebs dar. Der Horstmann’sche Tangentialtonarm, der nicht zufällig viel mit Plattenschneidemaschinen gemeinsam hat, dürfte im Hinblick auf Funktionsprinzip und Bauweise einmalig in der Plattenspielerwelt sein. Sein Kernstück bildet eine Lineareinheit, die den kardanisch gelagerten Tonarm, der prinzipiell drehbar ist wie ein Radialtonarm, dem Verlauf der Rille folgend stetig in Richtung Plattenmitte führt. Ein Lasersystem, das ebenfalls von zwei Linearführungen justiert wird, überprüft ununterbrochen den 90-Grad-Tangentialwinkel des Arms zur Rille und gibt die Werte an die elektronische Steuerung weiter. Diese regelte bereits auf dem Prototyp des VPM-2010 in 256 Mikroschritten pro Einzelschritt den Vorschub der Lineareinheit, deren Antrieb auf insgesamt 800 Schritte pro Umdrehung ausgelegt ist. Damit beträgt ihr kleinstmöglicher Bewegungshub theoretisch 0,000024 Millimeter. Auf die Frage, wieso er einen solchen Riesenaufwand betreibt, um einen fehlerfrei arbeitenden Tangentialtonarm zu kreieren, wo es doch bekanntlich mittlerweile etliche Drehtonarme gibt, die ihre Sache auch ganz gut machen, erwidert der Konstrukteur, dass sich auch der kleinste Spurfehlwinkel noch deutlich hörbar im Hochtonbereich äußere, etwa in einem Stereokanalversatz oder in Form deutlich wahrnehmbarer Verzerrungen bei S-Lauten.
Wie spektakulär unspektakulär, sauber und stressfrei analoge Schallplattenwiedergabe ohne diese Artefakte sein kann, dürfen wir dann auf seiner heimischen Anlage erleben – einer wirklich gelungenen Zusammenstellung: Als Verstärker dient ein älteres Revox-Endstufenpaar, das vor einigen Jahren von Horstmann nach Anleitung seines „Revox-Gurus“ revidiert und unter anderem in der Stromversorgung mit zwischenzeitig verfügbaren besseren Bauteilen ausgestattet wurde. Angeschlossen daran ist in vertikaler Bi-Amping-Anordnung ein Pärchen der sagenhaften Tannoy-Canterbury-15-HE-Lautsprecher, die mittlerweile auch schon ein rundes Jahrzehnt in seinem Besitz sind. Horstmann hatte die Boxen seinerzeit aus zweiter Hand bei einem Händler in der Schweiz gekauft und gleich zerlegt, um Chassis und Gehäuse getrennt über die schweizerisch-deutsche Zollgrenze zu bringen. Die Verstärkung des Signals, das von dem im Tangentialtonarm eingebauten MC-System Dynavector Te Kaitora Rua erzeugt wird, übernimmt anstelle des Revox-Vorverstärkers eine Monk-Audio-Phonovorstufe. Als Laufwerk dient der dritte und bisher letzte Dereneville-Plattenspieler, der Modulaire – immer noch alles andere als schmächtig, aber von Design und Abmessungen her klar mehrheitsfähiger als das Horstmann’sche Erstlingswerk. Anstelle des scheinbaren visuellen Chaos des VPM 2010-1 – so die Bezeichnung der aktuellen Version des ersten Dereneville-Spielers – gibt es hier klar gegliederte, auf den ersten Blick erkennbare Strukturen. Dass die Laufwerksbasis aus Corian besteht, der Teller eine mehrlagige Struktur aufweist und mittels eines kräftigen Magnetfelds schwebend gelagert ist, versteht sich im Hause Horstmann schon von selbst. Neben dem Dereneville-Tangentialtonarm in seiner jüngsten Entwicklungsstufe ist auch noch ein Dynavector DV-507 MKII auf dem Laufwerk montiert, das Platz für insgesamt bis zu vier Tonarme bietet.
Was jetzt aus den Tannoys ertönt, verschlägt mir mit seiner Klarheit und Selbstverständlichkeit, seiner Abwesenheit des geringsten Ansatzes einer Verschleierung feinster Details, seiner Dynamik vor einem pechschwarzen Hintergrund zunächst einmal die Sprache. Kaum ist der erste Ton erklungen, vergisst man alles, was man soeben über die Technik erfahren hat – egal, was gerade auf dem Plattenteller liegt. Auf den Punkt gebracht: So emotional mitreißend habe ich zum Beispiel Kate Bushs Hounds Of Love (EMI, KAB1, UK, 1985) noch nie gehört – was für mich umso erstaunlicher war, als auf diesem Album auch Stücke enthalten sind, die ich zuvor eher in die Kategorie „etwas gewöhnungsbedürftig“ eingeordnet hatte.
Derzeit arbeitet Horstmann an einer „Light-Version“ des Modulaire, die als nacktes Laufwerk zu einem knapp fünfstelligen Preis auf den Markt kommen dürfte, also in einem Bereich, in dem sich auch die Noch-nicht-Referenzprodukte von etablierten Mitbewerbern wie Clearaudio und Acoustic Signature tummeln und in durchaus beachtlichen Stückzahlen über die Ladentische in aller Welt gehen. Die Konstruktionszeichnungen dazu liegen bereits vor. Demgegenüber wird der Tangentialtonarm, der ohne Weiteres auch auf dem „Modulaire Light“ verwendet werden kann, preislich immer noch bei ungefähr 30.000 Euro liegen, was angesichts des Konstruktionsaufwands niemanden wirklich verwundern sollte.
Nicht immer muss sich für Horstmann jedoch alles um Maschinenbau der Superlative drehen: Als er erfuhr, dass ich gerade einen Rega Planar 3 zum Testen für image hifi im Hause hatte, zauberte er eine für den Subteller des 850-Euro-Spielers maßgeschneiderte Mini-Version seiner Silikonplattenmatte hervor: „Probier das mal.“ Gerade habe er so einen Rega für einen Freund bestellt, der wieder in den Analogbereich einsteigen wolle, denn zu diesem Preis sei der ja so gut wie konkurrenzlos. Im Hinblick auf das Resonanzverhalten nicht recht überzeugt habe ihn allerdings, dass der Glasteller auf einem Plastiksubteller liege. „Manchmal haben Kleinigkeiten, die man einfach machen kann, doch große Auswirkungen…“ Stimmt, Herr Horstmann! Dieses unscheinbare Stückchen Silikon bringt den Rega wirklich nach vorne – danke dafür!
Ein Projekt, das ihm in all dieser Zeit im Hinterkopf herumspukte, wird der Extremist Horstmann aber wohl doch nicht mehr verwirklichen: Eigentlich wollte er auf der Basis seiner Tangentialtonarmtechnik auch noch ein Plattenschneidegerät bauen. Die Firma Neumann, deren Schneidemaschinenproduktion 1982 eingestellt wurde, hatte ihm bereits zugesagt, das Vorhaben zu unterstützen, da sie heute für eine Eigenentwicklung quasi wieder bei null anfangen müsste und in einem so großen Unternehmen, wenn es um die Einplanung der notwendigen Ingenieurstunden gehe, in Anbetracht der winzigen Stückzahlen „die Controller verrückt spielen“ würden. Lange habe er überlegt, ob er noch einmal drei, vier Jahre seines Lebens in dieses Projekt investieren solle. Offen gestanden wolle er aber im Ruhestand auch noch ein wenig das Leben genießen und etwas von der Welt sehen: „Also die Schneidemaschine, die wird ein anderer machen müssen…“
Fraglos wäre es für Liebhaber des „schwarzen Goldes“ sehr zu begrüßen, wenn ein ernsthafter und kreativer Entwickler wie er sich dieses Themas annähme – schließlich wird der heutige Bestand überalterter Plattenschneidemaschinen, der bisher, wie etwa die „Ami-Schlitten“ aus den Fünfzigerjahren in Kuba, immer noch irgendwie am Leben erhalten werden konnte, irgendwann das Zeitliche segnen. Aber auch ein Rainer Horstmann kann nicht alles machen. Vor allem, weil seine zwei Mitstreiter und er – Ruhestand hin oder her – mit den heutigen Projekten schon mehr als ausgelastet sind. Alles andere als ein Spinner, der sich in den Kopf gesetzt hat, den besten, teuersten, größten, schwersten – und was es sonst noch für alberne Superlative geben mag – Plattenspieler der Welt zu bauen, als ginge es um eine Fernsehwette bei Thomas Gottschalk, arbeitet Horstmann mit Herz und Verstand daran, Grenzen der Wiedergabe analoger Schallplatten zu sprengen und das Machbare neu zu definieren. Man kann ihm nur wünschen, dass seine Produkte sich bald in einem Maße verkaufen lassen, das wenigstens ansatzweise als Lohn der Mühe verstanden werden kann. Denn unsere Szene lebt nur, weil es Menschen wie Rainer Horstmann gibt.