Nicht alles war gut ...
Text von: Winfried Dulisch
Ernst Busch wurde von den Nazis zum Tode verurteilt. Der Sänger und Schauspieler überlebte, weil sich sein Kollege Gustav Gründgens für ihn eingesetzt hatte. Nach Kriegsende arbeitete Busch für den kulturpolitischen Aufbau der DDR. 1947 gründete er die Plattenfirma „Lied der Zeit Schallplatten-Gesellschaft mbH“. 1954 wurde sie verstaatlicht und firmierte seitdem als Volkseigener Betrieb – kurz: VEB.
Dieser VEB Deutsche Schallplatten veröffentlichte bis zum Wendejahr 1989 ungefähr 8500 Platten. Als alleiniger Hersteller von Tonträgern in der DDR sollte diese Firma mit ihren sechs Haupt-Labels den Bedarf der ostdeutschen Hörer decken.
Ungefähr die Hälfte der verkauften Tonträger kam aus dem Bereich U-Musik. Schlager, Pop und Rock bis hin zum Avantgarde-Jazz erschienen beim Label Amiga. Ein weiteres erfolgreiches Amiga-Standbein waren Platten mit volkstümlicher Mitklatschmusik, obwohl DDR-Vordenker Bert Brecht doch behauptet hatte: Das Volk mag nicht -tümlich sein.
Eine Alternative zum popularmusikalischen Tagesgeschäft lieferte das Label Aurora mit Arbeiterliedern und mit den Produktionen von Ernst Busch. Für jenen Bereich, den wir heute „Hörbuch“ nennen, war Litera zuständig. Werke von zeitgenössischen Tonsetzern erschienen auf dem Label Nova. Mit dem Etikett Schola wurden Tonträger versehen, die für den Unterricht in DDR-Schulen verwendet werden sollten.
Einige Veröffentlichungen des VEB Deutsche Schallplatten sind heute gesuchte Sammlerstücke. Zum Beispiel Bachs Orgelwerke auf Silbermannorgeln. Oder die Stimmen der Vögel Mitteleuropas.
Von allen Aktivitäten des VEB Deutsche Schallplatten hinterlässt das Klassik-Label Eterna mit knapp 5.000 Veröffentlichungen das reichhaltigste Erbe. Das Label-Repertoire deckte die Bereiche Kammermusik, Sinfonik, Oper, Operette, Chormusik, Kunst- und Volkslied ab. Damit war Eterna das DDR-Gegenstück zum gelben Etikett der (west-)Deutschen Grammophon Gesellschaft.
Der DGG-Vertragspartner Herbert von Karajan hatte zwar die Werbetrommel für das Digital-Medium Compact Disc gerührt. Und sein japanischer Freund Norio Ohga hatte sich gewünscht, für die 12 cm große Kunststoffscheibe eine maximale Laufzeit festzulegen, die das Abspeichern von Beethovens Neunter auf einem einzigen Tonträger erlaubt. Der damalige Vizepräsident des CD-Mitentwicklers Sony wollte endlich einmal das gesamte Werk vom ersten Takt bis hin zur „Freude, schöner Götterfunken“ genießen, ohne zum Abspielgerät rennen und die Platte umdrehen zu müssen.
Doch die erste digitale Gesamtaufnahme – digitale Aufnahme, digitaler Schnitt, digitaler Tonträger, kurz: DDD – der Beethoven-Sinfonien wurde nicht vom Salzburger Maestro und seinen Berliner Philharmonikern eingespielt. Beethoven verdankt die DDD-Premiere seiner neun Sinfonien der Dresdner Philharmonie unter ihrem Chefdirigenten Herbert Kegel.
Bereits Napoleon I. Bonaparte hatte gewusst: „Die Musik hat von allen Künsten den tiefsten Einfluss auf das Gemüt. Ein Gesetzgeber sollte sie deshalb auch am meisten unterstützen.“ Das DDR-Ministerium für Kultur förderte mit seiner Preispolitik vor allem die Nischenprodukte. Deshalb kosteten Litera- und Eterna-Platten 12,10 DDR-Mark, dieser staatlich festgelegte Preis setzte sich zusammen aus zwölf Mark für das Produkt und einen sogenannten Kulturgroschen. Eine LP des Avantgarde-Labels Nova kostete sogar nur 10,10 DDR-Mark.
Das Presswerk in Potsdam-Babelsberg stellte auch Langspielplatten im DMM-Verfahren (Direct Metal Mastering) her. 15,10 Mark zahlten die audiophilen Klassik-Liebhaber für diese Qualitätspressungen. Die Schlager- und Pop-Fans mussten für ein Amiga-Produkt 16,10 Mark hinblättern, U-Musik galt in der DDR als ein Gebrauchsgut und wurde vom Staat nicht subventioniert.
Viele künstlerisch und aufnahmetechnisch hochwertige Klassik-Aufnahmen des VEB Deutsche Schallplatten wurden – ähnlich wie die Produktionen des tschechischen Labels Supraphon, Hungaroton (Ungarn), Jugoton (Jugoslawien) oder Melodija (Russland) – im kapitalistischen Ausland auf Tonträger gepresst und spielten dadurch Lizenzgebühren ein. Im Bereich der E-Musik war die DDR autark und konnte seine Bürger mit Klassik-Platten bestens versorgen.
Im Popularmusik-Bereich war es umgekehrt. Der höhere Preis für Amiga-Platten lässt sich auch damit begründen, dass die DDR wie jeder andere Lizenznehmer auf der Welt für ausländische Pop-Stars bezahlen musste. Amiga-Platten mit West-Repertoire waren weitaus mehr als nur klingende Kulturgüter. Lizenzpressungen mit authentischen Rock’n’Roll- und Beat-Hits waren quasi eine Zweitwährung. Handwerker erledigen einen Reparaturauftrag pünktlicher, wenn ihre Arbeit mit einer Elvis- oder Stones-Platte entlohnt wurde.
Doch während die Schallplatten-Presswerke in der westlichen Hemisphäre auch schon mal Nachtschichten für einen urplötzlich populär gewordenen Tonträger einlegten, wurden in der DDR keine Nachpressungen angefertigt – zumindest nicht von Lizenzprodukten. Und zumindest nicht offiziell. Ausverkauft war ausverkauft! Trotzdem kursieren immer noch die Gerüchte, dass zum Beispiel die Kölschrock-Songs von BAP auf weitaus mehr Amiga-Tonträger gepresst worden sind, als Wolfgang Niedekens Plattenfirma mit dem DDR-Label vereinbart hatte. Im mittleren bis oberen fünfstelligen Bereich soll sich die Anzahl der BAP-Schwarzpressungen bewegen.
Aber was ist das alles im Vergleich zum größten Verkaufserfolg der DDR-Schallplattenhistorie? 1985 nahm der Schlagersänger Frank Schöbel mit seiner damaligen Lebensgefährtin, der Folk- und Chanson-Sängerin Aurora Lacasa, und ihren zwei gemeinsamen Kindern die LP Weihnachten in Familie auf. Dieses Xmas-Album wurde ähnlich wie in der kapitalistischen Welthälfte mit aller zur Verfügung stehenden Medienpower gepusht – bis hin zur perfekt getimeden TV-Show am 24. Dezember im Fernsehen der DDR. Das Ergebnis dieser Aktion: 1,4 Millionen Tonträger und die Verleihung der Goldenen Amiga, einem DDR-Pendant zum Deutschen Schallplattenpreis (seit 1992: ECHO) der westdeutschen Phonoakademie.
Den zweiten Platz in der ewigen DDR-Bestsellerliste belegen die Puhdys mit ihrem Album Rock'n’Roll Music. Ebenfalls die Millionen-Marke überschritt Der blaue Planet von Karat. Doch keines dieser heimischen Gewächse konnte jenen Status erreichen, den die Lizenzprodukte mit Songs westlicher Pop-Künstler genossen. DDR-Pressungen mit Werken von Led Zeppelin, Deep Purple, Status Quo oder Joe Cocker waren eine Zweitwährung. Handwerker kamen pünktlicher, wenn als Honorar eine Stones-LP vereinbart worden war.
Die Pop-Liebhaber subventionierten mit ihren 16,10 DDR-Mark für eine Amiga-Scheibe die E-Musikproduktionen des VEB Deutsche Schallplatten. Im kapitalistischen Westen von Deutschland wiesen die Verkaufspreise dagegen in eine völlig entgegengesetzte kulturpolitische Richtung.
Eine Langspielplatte der Sparte U-Musik kostete bei Markteinführung der Vinylscheibe in Westdeutschland 18 D-Mark, ihr Preis steigerte sich bis zur Aufhebung der Preisbindung für Tonträger auf 22 D-Mark. Eine Klassik-LP der Deutschen Grammophon Gesellschaft kostete 25 D-Mark. Dieser Preis wurde zunehmend aufgeweicht von Import-Vinylscheiben, die aus englischen, französischen oder anderen Billig-Presswerken stammten. Deshalb vertrauten audiophile Klassik-Fans in der BRD nur noch jenen Produkten, die ausdrücklich als deutsche Pressung deklariert waren – und zwar mit einem „Made in Germany“ nicht nur auf dem Cover, sondern vor allem auf dem gelben Platten-Etikett.
Der Kampf der politischen Systeme wurde auch im Bereich der technischen Normen geführt. Mit Beginn der 1970er-Jahre wollten Unterhaltungselektronik-Hersteller die Quadrophonie durchsetzen und in jedem Wohnzimmer der westlichen Hemisphäre vier statt nur zwei Lautsprecher platzieren.
Das Rundfunk- und Fernsehtechnische Zentralamt – kurz: RFZ – der Deutschen Post in Berlin-Adlershof hatte schon viel früher den Auftrag zur Entwicklung einer Raumklang-Technik gegeben. 1961 wurde ein Raumklang-Verfahren mit dem Namen „Ambiophonie“ zum Patent angemeldet, das sich von der Quadrophonie grundsätzlich unterschied. Die Ambiophonie wollte den gesamten Raum abbilden, in welchem die Musik gespielt wird. Quadrophonie orientierte sich eher an den Hörgewohnheiten der Pop-Fans, die ein Klang-Mosaikbild bevorzugen, das aus einzelnen Teilen zusammengefügt wird.
„Ende der 1970er bis Anfang der 80er fertigten wir bei jeder Klassik-Produktion parallel zur Stereo-Version auch eine Aufnahme an, die dem international anerkannten Quadrophonie-Standard entsprach“, erinnert sich Eberhard Hinz. „Damals haben wir sogar Kammermusik-Einspielungen quadrophonisch dokumentiert.“
Denn die Zeit war damals noch nicht reif für eine Ambiophonie, wie sie von DDR-Technikern bereits entwickelt worden war. Erst heute stehen erschwingliche Surround-Geräte zur Verfügung, die für jeden Musikliebhaber einen Raumklang im Sinne des Ambiophonie-Konzepts möglich machen.
Statt auf weitere Raumklang-Experimente konzentrierte sich die DDR-Musikindustrie zum Glück mehr auf ihre übrigen Stärken. Zum Beispiel auf die Tonstudios in der DDR. Neben den Studios am Reichstagufer und in der Brunnenstraße stand in Berlin als weiterer Aufnahmeraum die Christuskirche in Berlin-Oberschöneweide zur Verfügung. Der Sakralbau war für Tonaufnahmen optimiert worden und entwickelte sich zu einer künstlerischen Heimat für die renommierten Klangkörper, die in der Hauptstadt der DDR ansässig waren.
An zwei anderen Produktionsstandorten nutzte der VEB Deutsche Schallplatten ähnliche Gebäude als Tonstudios. In der Leipziger Paul-Gerhardt-Kirche nahm zum Beispiel das Gewandhausorchester seine Platten auf. Zu einem „Exportschlager“ entwickelte sich die Lukaskirche in Dresden.
Das bei den Luftangriffen auf Dresden im Februar 1945 zerstörte Haus diente nach seinem Wiederaufbau als Tonstudio. Karl Böhm und Carlos Kleiber nahmen hier Platten auf. Herbert von Karajan dirigierte in der Lukaskirche seine „Meistersinger“-Gesamteinspielung. Der holländische Kleinkunst-Großmeister Herman van Veen arbeitete ebenfalls gerne in diesem Aufnahmeraum.
Es waren nicht allein diese legendären Aufnahmeräume, die das Erbe des VEB Deutsche Schallplatten so wertvoll machen. Tonmeister Eberhard Hinz erinnert sich an diese Faustregel: „Für zwölf Minuten Musik standen jeweils vier Stunden im Aufnahmestudio zur Verfügung. Für das Beethoven-Violinkonzert wurden bis zu drei Produktionstage veranschlagt. Bei jedem einzelnen Satz nahmen wir uns mindestens vier Stunden Zeit, um sämtliche künstlerischen und klangrelevanten Aspekte auszuloten. Heute muss ein Werk wie dieses oft genug bereits nach einem Studiotag im Kasten sein.“ Als er noch für den VEB Deutsche Schallplatten arbeitete, fuhr Eberhard Hinz immer mit dem Zug zum Studio. „Während der Fahrt las ich die Partitur und machte mir meine Notizen. Wenn ich heute ein Orchester aufnehmen soll, packe ich die Geräte in mein Auto, schleppe sie in den Aufnahmeraum und baue alles allein auf und wieder ab.“
Auch die Nachbereitung seiner Arbeit hat sich gravierend geändert. „Früher wurden meine Magnetband-Aufnahmen von Schnittmeistern bearbeitet. Eine Woche lang waren sie damit beschäftigt, aus dem vorhandenen Material ein optimal zusammengestelltes Masterband zu fertigen. Heute muss der Tonmeister diese Arbeit an seinem Computer selbst erledigen.“
Im Westen konkurrierten die damaligen Majors Deutsche Grammophon, Ariola, Philips, WEA, EMI, CBS und viele kleinere Labels miteinander. Eberhard Hinz: „Solch einem kommerziellen Druck waren wir nicht ausgesetzt. Deshalb hatten wir Tonmeister zu DDR-Zeiten auch keine Betriebsgeheimnisse. Ich konnte vor jeder Aufnahmesitzung in einem Dokumentationsbuch des jeweiligen Studios die Notizen meiner Kollegen nachlesen.“
Die Tonmeister konnten ihre Erfahrungen miteinander austauschen, weil zum Beispiel im Holz der Lukaskirche jeweils in zwei Meter Abstand voneinander ein Kupfernagel eingeschlagen worden war. „Der dient uns heute noch als Markierung. Eine Mikrofon-Aufstellung, die sich in diesem Raum schon einmal bewährt hatte, kann damit für eine spätere Produktion leicht nachgestellt werden. Wenn ich hier zum Beispiel eine Mozart-Aufnahme machen will, fragte ich vorher einen Kollegen, der hier schon mal eine Haydn-Sinfonie aufgenommen hat, nach seinen Erfahrungen.“
Aber es war nicht alles nur gut in der DDR. „Wir sind regelmäßig dazu angehalten worden, möglichst Magnet-Tonbänder aus heimischer Produktion zu verwenden. Dieses Material von der Agfa-Nachfolgefirma ORWO in Bitterfeld-Wolfen genügte nicht unserem Tonmeister-Anspruch. Deshalb verlangten und benutzten wir grundsätzlich nur westdeutsches Material von Agfa Gevaert und BASF.“
Ende der 1960er etablierte sich die Dolby Rauschunterdrückung zum weltweiten Studio-Standard. DDR-Techniker sollten auch dazu eine Alternative zu entwickeln. Eberhard Hinz: „Alle Versuche, ein ähnlich wirksames Verfahren zu entwickeln, sind gescheitert. Wir haben immer nur Dolby benutzt.“
In westlichen Tonstudios wurden Digital-Aufnahmen seit Ende der 1970er-Jahre mit dem eigentlich für den Video-Einsatz konzipierten Betamax-System hergestellt. Für die Tonmeister in der DDR begann jedoch erst bei der nächsten Entwicklungsstufe das neue Zeitalter. „Unsere ersten richtig guten Digital-Aufnahmen machten wir mit U-Matic 16 Bit, was ja eigentlich ebenfalls eine Technik für den Video-Einsatz war.“
Eberhard Hinz fasst zusammen: „Die hochwertigen technischen Geräte in unseren Studios kamen ausschließlich aus dem Westen. Um exportfähig zu sein, mussten unsere Produktionen schließlich den westlichen Standards entsprechen.“ Und er fügt schmunzelnd hinzu: „Sämtliche Mikrofon-Stative waren allerdings lupenreine DDR-Produkte.“