Text von Uwe Kirbach
Tom Fletchers Plattenspieler seiner Firma Nottingham Analogue wurden wegen dreier Eigenschaften berühmt: absolut zuverlässige Musikalität, Reduktion auf das Notwendigste und sehr günstige Preis-Klang-Relationen. Nur, was ist beim großen Modell Deco in ihn gefahren? – 27000 Euro, ohne Tonarm! Den musste ich hören.
Als Tom Fletcher vor 40 Jahren begann, sich mit der Entwicklung von Plattenspielern zu beschäftigen, tauchten die westlichen Gesellschaften gerade in eine neue Epoche ein (und wenn ich mich nicht allzu blöd anstelle, wird nach dem folgenden kleinen Exkurs klar sein, warum ich den Engländer für so besonders und wichtig halte und wie sein großer Deco in seine Produkt-Philosophie passt): Über den alle Menschen ansprechenden Hebel der Sexualität hatten die 68er den Gedanken durchgesetzt, dass der Mensch nicht allein ein der Natur und ihren Trieben ausgesetztes Objekt ist. Er sollte sich seiner Lust bewusst werden, sie individuell fördern. Lernen wie's geht, Frau Uhse und Herr Kolle standen hilfreich zur Seite. Die Afri-Cola-Flower-Pop-Op-Gesellschaft war geboren, katholische Kontrolle und protestantische Verzichtsmoral bald von gestern, nicht nur beim Sex.
Gar keine so schlechte Idee: Man strengte sich ein wenig an, lernte was und durfte dann seinen Leidenschaften frönen, mit Hingabe und reicher an Kenntnis. Nicht nur dem Bohemien und Oberschichtsangehörigen war es, wie vor dem Krieg, fortan opportun, sich edle Dinge zuzulegen und überhaupt zu konsumieren, was Geldbeutel, Bankkredit und erbeutete Rohstoffe aus fernen Ländern hergaben. Irgendwie hatten sich die konsumkritischen 68er das anders gedacht, aber die Popkultur war schon in voller Fahrt, jeder musste alles haben, Auto, Kamera, Stereoanlage, Trendsportausrüstung, das Bruttosozialprodukt bedankte sich. Dummerweise war es bei so vielen Konsumhausaufgaben oft nicht weit her mit Hingabe und Kenntnisreichtum. Das Ergebnis kennen wir: Dosenbier, Tiefkühlpizza und mp3.
Bitte, liebe Soziologieprofessoren unter den Lesern, verzeihen Sie die arge Verkürzung, aber irgendwann soll mein Text ja nochmal etwas eindeutiger zu den schönen Plattenspielerbildern daneben passen. Voilà: Mir scheint Tom Fletcher mit seiner Firma fast in Reinform zu verkörpern, was über die runden vier Jahrzehnte der ganz großen Konsumsause etwas verschütt gegangen ist: Produkte aus hochwertigen Bauteilen ohne modischen Schnickschnack und optisches Chichi. Die dafür das, was sie im Kern tun sollen, extrem gut tun – Musik wiedergeben. Und das, nach allem, was ich weiß, auch sehr dauerhaft. Dass es bei Nottingham Analogue keine Internet-Verbindung gibt und mithin auch keinen E-Mail-Verkehr, passt da nur ins Bild eines leidenschaftlich sich aufs Wesentliche beschränkenden Herstellers.
Und dieses Qualitäts-Konzentrat soll der weit aus dem üblichen Preisrahmen der Nottingham-Spieler herausragende Deco nun auf entsprechend höherem Level darstellen. Aber was kann hier "entsprechend" bedeuten? Eine Idee davon hatte mir der Nottingham Dais während der monatelangen Beschäftigung mit ihm gegeben. Obwohl er klanglich an den Brinkmann La Grange nicht heranreichte – kurz gesagt, verrundete er im Vergleich überall ein wenig – bereitete er mir kaum weniger musikalisches Vergnügen als die deutsche Traummaschine. Er machte einfach alles richtig, nie hatte ich den Eindruck, durch einschlägige Eingriffe Schwächen abmildern zu müssen oder bestimmte Qualitäten in die Gänge zu bringen. Um das mal sehr klar zu sagen: Das ist ein weit besseres Ergebnis, als es nach meinem Dafürhalten die meisten weit teuereren Spieler hinbekommen. Ganz brachte ich es nicht in meinem Kopf zusammen: Wie konnte er derart gut sein und Freude bereiten, wenn er doch eindeutig in einer Reihe von Einzeldisziplinen hinter einem LaGrange zurückblieb? Aufklärung brachte dann der Einbau eines Cartridge Isolators vom ebenfalls englischen Cartridgeman; mit ihm lassen sich gut echte klangliche Fehler beseitigen. Zu diesem Zeitpunkt war Brinkmanns LaGrange mit Brinkmann 12.1 Arm nach meinen Versuchen der einzige Spieler, der nicht davon profitierte, sondern eine Spur Dynamik und Griffigkeit einbüßte. Zwischen Headshell und Tonabnehmer beim Ace Space Arm des Dais montiert dehnte sich aber wieder der Raum aus, die Höhen wurden klarer, der Grundton zupackender. Ich war und bin schwer beeindruckt, wie komplett und geschlossen und völlig befriedigend es vorher schon klang, trotz des eindeutig steigerungsfähigen Potenzials. Eine phänomenale Abstimmungsleistung.
Seit diesen Erfahrungen hatte ich eine Ahnung davon (dachte ich jedenfalls), wohin die Reise mit dem Deco gehen könnte. Prinzipiell ist er ja gleich gebaut, schwerer Teller nach dem Prinzip der Masseträgheit, darauf eine Graphitmatte. Angetrieben von einem schwachen Motor mit somit geringen Vibrationen, der dem einmal per Hand in Schwung gebrachten Teller gerade so viel Energie zuführt, dass er auf Geschwindigkeit bleibt. Ein robust, fast grob aussehendes Lager, bei dem die Spindel einfach auf einer runden Stahlstange aufsitzt, so ausgelegt, dass relativ viel Lageröl wie von einer Pumpe gefördert durch die Lagerbasis und den Schaft zirkuliert.
Da ich den Deco erst zwei Wochen vor Redaktionsschluss bekam, grämte ich mich noch etwas, dass es nicht mehr möglich war, ein Armboard für die Montage eines weiteren Armes auf der linken Seite des Deco fertigen zu lassen. Bestimmt hätte Brinkmanns überragender 12.1 für einige Erkenntnisse gesorgt?
Also kam zunächst der Brinkmann EMT ti an den Anna Arm. Und, okay, es muss jetzt raus, kurz und knapp: So etwas hatte ich noch nicht gehört! So unfassbar direkt, nahe und anspringend die Musik auf mich zukam, kannte ich es von einem Plattenspieler bisher nicht, eher vom Masterband bei Studioaufnahmen. Ist es zu fassen, wieviel unmittelbarer Lou Reed auf „Velvet Underground“ (MGM) "Candy Says" singt, mit einer Unzahl von subtilen Eigenheiten, die ich bisher insgesamt als Ausdruckskraft kenne, nicht aber sozusagen im Ursprung des Entstehens. So höre ich keinem fertigen Song mehr zu, sondern dabei, wie er gerade entsteht. Inklusive aller Live-haften Dynamik, im Leisesten, wenn nun plötzlich zu hören ist, dass das leise Tickern, das am Ende nie genau zuordnungsfähig vom Schlagzeug kam, nun völlig eindeutig fast zärtlich zu nennenden Handbewegungen mit einem Stick entstammt. Man meint, einfach hinsehen zu können. Und am anderen Dynamikende, wenn die rohe Beat-Kraft in "What Goes On" wie im Direktanschluss aus Gitarrenverstärkern in den Raum jagt. Oder wird verständlicher, zu was dieser Plattenspieler fähig ist, wenn ich beschreibe, dass in "Some Kinda Love" allein ein hinten links von der Mitte geschlagenes Perkussionsinstrument den gesamten Raum definieren kann?
Wie im Fieber habe ich nach den ersten Alben ein Stück nach dem anderen aufgelegt, mich von dem großartigen rhythmischen Fluss Mal um Mal hineinziehen lassen und viele Stunden gebraucht, bis ich nicht mehr nur völlig baff staunend und mitgerissen ob der Livehaftigkeit des Deco mit Anna Tonarm vor der Anlage saß. Sondern schließlich auch mit selbstauferlegter Distanz berichten kann, dass man hier garantiert keinerlei Effekten aufsitzt, dies auch sofort weiß, so wie jedes einigermaßen geübte Ohr unecht, täuschend echt und wirklich echt auseinanderhält. Mit der Aktivierung der erstmals bei Nottingham zu sehenden, hart gefederten Basis verändert sich die Basskontrolle, die Tiefen werden etwas "grooviger", satter – ob man die Dämpfungselemente zusätzlich zur Resonanzen kontrollierenden Funktion der beiden Basis-Holzplatten einsetzt, wird hauptsächlich von den Aufstellungsbedingungen im jeweiligen Hörraum abhängen. Insgesamt sorgt der Deco für derart ausgreifende, umfassende Klangerfahrungen, dass ich mich tatsächlich außerstande sehe, irgendetwas zu kritisieren. Da sämtliche Platten derart live und einfach besser klingen als irgendwann vorher, wäre das auch absurd. – Allerdings gibt es einen Bedienungsaspekt, der bei der sonst gebotenen Qualität auch absurde Züge hat: Das händische Umlegen des Riemens für 33er oder 45er Geschwindigkeit bereitet richtige Schwierigkeiten, im Gegensatz zu den anderen Nottingham-Spielern. Hier springt er immer wieder in die alte Rille zurück oder hüpft gar vom Pulley. Mein Fazit: Man benötigt ein zweites Laufwerk, wenn der Geschwindigkeitswechsel schnell vonstatten gehen soll. Aber im Ernst: Laut Nottinghams Elektronik-Entwickler Martin Bastin, ein gelernter Arzt, der mit Entwicklungen für Garrard-Laufwerke Szenenbekanntheit erlangte, läuft der Motor in der gefundenen Konstellation auf seinem Resonanz-Minimum. Eine technisch problemlos zu machende Geschwindigkeitsumstellung per Elektronik würde diese Harmonie zerstören. So bleibt für mich das bizarre Fazit, dass das beste Laufwerk, das ich kenne, noch nach Verbesserungen bei der Geschwindigkeitswahl verlangt.
Ein paar erfolgreichere Riemen-Umleg-Trainingseinheiten später (es bleibt delikat, mit der Hand auf Armhöhe am Abtaster vorbei zu hantieren, um den Riemen für einige Sekunden am Teller auf der gewechselten Spur zu halten) ist mir Martin Bastins Begründung für diese Art der Geschwindigkeitswahl im Kopf geblieben. Sie scheint mir der Schlüssel für das Verständnis der Konstruktionen Tom Fletchers zu sein. Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, dem externen Netzteil beizubringen, wie man die Umdrehungszahl pro Minute per Knopfdruck wechselt. Es gibt aber eben wohl nur exakt eine Geschwindigkeit und ein Verhältnis zwischen Antriebspulley und Teller-Außendurchmesser, bei denen der Motor seine idealen Arbeitsbedingungen vorfindet. Und so wird's dann auch gemacht. Ende. Zwar hätte ich eine Lösung vorgezogen, die beide möglichen Varianten erlaubt – für ein schnelles Reinhören den Knopfdruck, so grausam wird's wohl auch nicht klingen. Doch mit einer solchen, aus der Sicht Fletchers kompromisslerischen Vorgehensweise bei der Entwicklung wären ihm sicher nie die traumwandlerisch sicheren Abstimmungen seiner "kleineren" Modelle gelungen. Und schon gar nicht das, was ich beim Deco als Wegreißen der letzten artifiziellen Schichten bei der analogen Plattenwiedergabe erleben darf.
Obwohl man also das Geheimnis des Deco letztlich dort suchen müsste, wohin für Außenstehende kein Weg führt, bei einer unendlichen Anzahl von Feinabstimmungen in Hörsitzungen, beim Ausbalancieren sämtlicher eingesetzten Bauteile, bei Entscheidungen auf der Basis von 40 Jahren Konstruktionserfahrung, obwohl man also nicht erwarten darf, wirklich zu verstehen, was den Deco im Innersten ausmacht, will man dennoch wissen, für welche technischen Lösungen sich Fletcher im Einzelnen entschieden hat. Viel bereitwilliger als fast überall bekommt man darüber auch Auskunft in der 123 Cordy Lane in Underwood, Nottingham. Als Motor setzt er einen Premotec ein, eine sehr zuverlässige Bauvariante eines alten Gleichstrommotors von Philips, ursprünglich als Antriebsmotor für professionelle Bandmaschinen entwickelt. Sein Antriebsmoment sollte so schwach wie nur möglich sein, um den sich drehenden Teller gerade noch weiter auf Sollgeschwindigkeit zu halten. Auf diese Weise kann er prinzipbedingt nicht mit resonierender Kraft auf den Teller einwirken.
Für eine noch höhere Laufruhe erhält der Motor bei Nottingham ein neues Stahllager mit einer Acetal-Kunststoff-Führung. Und für einen resonanzarmen Stand ruht er zusätzlich zu seinem dicken Gehäuse auf einer silbrig glänzenden Scheibe aus einer weichen Aluminium-Legierung. Sie wird freistehend in einem Ausschnitt auf der Rückseite des Laufwerks postiert. Bei Nottingham Analogue empfahl man mir, mal mit einem Stethoskop irgendwo am Spieler einem auch noch so geringen Geräusch des Motors nachzuspüren; er sei komplett unhörbar.
Die größten Probleme bei Motoren für Plattenspieler von heute sind allerdings nicht rein mechanische, sondern es sind Netzstörungen. Wer den Eindruck hat, dass sein alter Plattenspieler trotz sorgfältiger Service-Maßnahmen einfach nicht mehr so gut klingen mag wie früher, wird vermutlich dort die Ursache finden. Und eigentlich ein auf die heutigen Umstände angepasstes neues Netzteil benötigen. Hauptsächlich moderne Schaltnetzteile sind laut Martin Bastin für ins Netz gejagte Katastrophen-Wellenformen irgendwo zwischen Sinus und Rechteck verantwortlich, einschließlich reichlich resultierender Hochfrequenzstörungen. Und da Synchronmotoren letztlich nichts als Wandler sind, die versuchen, allen Wellenformen brav zu folgen, ist die Sauberkeit der Versorgungsspannung entsprechend deutlich hörbar.
Wie andere Hersteller auch konstruierte Bastin für Nottingham gegen die vor dem eigenen Wohnhaus und der HiFi-Anlage eindringenden Störungen ein Oszillator-Netzteil, das mit Hilfe eines Leistungsverstärkers sich seinen eigenen gereinigten Strom generiert. Wie nur noch wenige andere lässt er dabei den Ausgangstrafo weg, um die zwei Spulen des Antriebsmotors unabhängig voneinander mit Spannung zu versorgen. Und da keine zwei Motoren gleich sind, lassen sich die Spannungsverhältnisse zwischen den beiden Phasen genau auf das individuelle Exemplar einstellen. Und jetzt kommt der Nottingham-Clou: Beim Deco ist diese Split-Phase-Einstellung nicht im Inneren des Gerätes und sie ist nicht fixiert. Sein Wave Mechanic Netzteil erlaubt die Feinjustage mittels Drehpoti von außen. So ist gesichert, dass auch minimale Änderungen durch Transport, Temperaturunterschiede und jahrelangen Betrieb zuhause und gehörmäßig auf das Optimum justiert werden können. Freilich sollte die Regelbarkeit nicht zu dauernden Justagesessions führen, einmal eingestellt, ist die Drift so gering, dass eine jährliche Kontrolle bereits ein Zyklus für Ober-Perfektionisten sein dürfte. Riesige Klangunterschiede sind auch nicht zu erwarten – aber das kleine Stückchen weniger Rauigkeit gegen einen Hauch mehr an Rauminformation einzutauschen, begleitet von souveräner Entspannung und dem winzigen Mehr an rhythmischem Ausdruck, wenn etwa Charles Mingus' Band in dem wunderbaren "Fables of Faubus" voller Witz swingt (The Complete 1959 CBS Charles Mingus Sessions, Mosaic MQ4-143) - das ist es fraglos wert, was bei mir eine kleine Korrektur brachte.
Jetzt müssen Sie mir einen Moment fast kindlicher Freude erlauben: Wie bei den anderen Nottingham-Spielern treibt im eigentlichen Sinn nicht der Motor den Teller an, sondern man führt ihm wie beschrieben zum Start mit der Hand Bewegungsenergie zu und der Motor hält ihn dann nur noch auf Geschwindigkeit. Aber wie das funktioniert ist beim Deco ein Traum für jeden Fan guter Mechanik: Obwohl der 17 Zentimeter hohe Teller mitsamt Graphit-Matte über 30 Kilogramm wiegt, ist er mit einem kleinen Schubser, der ein unnachahmliches Gefühl von sanfter Solidität vermittelt, auf Geschwindigkeit gebracht. Dabei ist keinerlei Genauigkeit vonnöten, der Teller ist immer auf Nenndrehzahl, wenn man im nächsten Augenblick den Tonarm absenkt. Faszinierend. Und übrigens – für alle, die mit der Nottingham-Antriebsphilosophie nicht vertraut sind: Selbstverständlich muss der Spieler nicht ausgeschaltet werden, wenn der Teller steht. Der Motor steht dann einfach auch, geräusch- und vibrationslos.
Üblicherweise schlage ich mich nicht auf eine bestimmte Seite in Fragen konstruktiver Details. Bekanntlich führen viele Wege nach Rom, entscheidend für das Ergebnis ist immer die Kunst der Implementierung. Beim Teller des Deco fällt es mir jedoch schwer, seine Bauweise nicht als besonders überzeugend einzuschätzen. Jedenfalls, wenn man das klangliche Glück in einem schweren Exemplar sucht. Sehen Sie sich mal die Form an: nach unten verjüngt er sich über eine Reihe von acht Stufen stark, nach oben verkleinert sich sein Durchmesser bis zur Auflageebene auf Plattengröße geringer, was ihm insgesamt das Aussehen eines riesenhaften geschliffenen Diamanten verleiht. Will man stehende Wellen im Teller mittels Materialgeometrie vermeiden, wird man kaum eine andere als eine derartige Lösung favorisieren, denn nur mit unterschiedlichen Durchmessern kann es möglichst wenige gleichlange Resonanzwellen im Teller geben. Obwohl der Teller somit ein extrem ausgewogenes und minimiertes Resonanzverhalten haben dürfte und obwohl Tom Fletcher sich zur Klangabstimmung probeweise diverse Teller mit jeweils unterschiedlichen Massen herstellen ließ, legt er ihm im Bereich des größten Durchmessers zusätzlich noch drei dämpfende Silikonriemen um. Standesgemäß werden die Teller nicht gegossen, was zu ungleichmäßigen Materialeigenschaften führen kann, sondern aus großen Klötzen einer weichen Aluminium-Legierung gedreht.
Wie bei den anderen Nottingham-Laufwerken sind die Wände des Deco-Lagers mit Rillen ähnlich einem Schneckengetriebe ausgestattet. Dank ihrer Hilfe wird das gesamte Lager mit permanent umlaufendem Öl versorgt. Nottingham nennt diese Konstruktion "Ölpumpe" und es ist das einzige konstruktive Merkmal, auf dessen besondere Bedeutung für das klangliche Gesamtergebnis beim Deco ich mehrmals hingewiesen werde, denn für ihn wurde es weiter verfeinert. Nur für den Deco wurde deswegen auch ein eigenes, rötlich gefärbtes Öl entwickelt; nach einer uralten "Familien"-Rezeptur, wie es heißt. Es soll sich zwar für die anderen Nottingham-Laufwerke nicht so gut eignen wie das ihnen zugedachte Lageröl. Zum Einsatz in Spielern anderer Hersteller sei das Öl jedoch schon häufiger geordert worden. Dessen Komposition gehört zu den ganz wenigen Dingen bei Nottingham Analogue, zu denen man nichts erfährt.
Bei der Entwicklung des Deco probierte Tom Fletcher auch andere Lagertypen aus, in Abweichung von seinem praktisch unzerstörbaren Speziallager. Doch sämtliche Versuche wurden aufgegeben. Allerdings fand er für seine außergewöhnliche Lösung, bei der die Spitze der Lagerspindel auf einem Rundstab aus Widia-Stahl läuft, statt auf einem herkömmlichen Lagerspiegel, eine spektakulär aussehende neue Variante. Nicht nur verjüngt sich die Lagerspindel an ihrer Lauffläche auf einen Bruchteil ihrer üblichen Fläche, naheliegenderweise, um die Reibung weiter zu verringern. Unmittelbar über der Spitze hat Fletcher die runde Spindel zusätzlich zu einer eigenartigen geöffneten Form "aufgebohrt". Wie das winzige Abbild einer modernen Skulptur sieht es jetzt im Zentralpunkt seines Decos aus, nicht allein umspült, sondern geradezu durchflutet von Lageröl. Da Fletcher von seiner Prämisse, alles so einfach wie nur irgend möglich zu halten, niemals abweichen würde, weiß man, wie große Bedeutung er dieser komplexen Struktur an der Spitze seiner Lagerspindel beimisst. Mein Bruder, Entwicklungsleiter bei Hilti, sagt, dass eine derartige Konstruktion handwerklich nicht leicht zu fertigen ist und dadurch mit einigem finanziellem Aufwand verbunden.
An einer weiteren Stelle weicht Fletcher beim Deco entscheidend von seiner gewohnten Bauweise ab: Zum ersten Mal setzt er ein Subchassis ein. Oder besser gesagt, die Option eines Subchassis. Denn beim Unterbau des Deco überlässt er den Besitzern die Entscheidung, ob sie die beiden Platten aus Marineholz – so nennen die Engländer diese speziell getränkte und behandelte Sorte von Birken-Multiplex – einfach aufeinander liegen lassen. Oder ob sie sie wenige Millimeter voneinander abheben, über vier, fünf Drehungen der Gewinde in den vier Türmen. In ihnen befindet sich ein recht harter Isolationsgummi, an dessen vier Laschen die Plattform aufgehängt ist. Es gibt also kein Einstellungsgefummel und bei vertikaler Anregung des Tellers per Hand bewegt sich die Einheit kaum merklich, bleibt also völlig stabil. Ich finde, eine geniale Lösung, denn so kann jeder den Plattenspieler an seine spezifische Unterlage und seine eigenen heimischen Bedingungen anpassen.
Obwohl bei mir der Bass mit aufeinanderliegenden Basisplatten eine Spur wuchtiger, vielleicht sogar präziser wirkte, zog ich die aktivierte Subchassis-Variante vor, da ich den Spieler so etwas filigraner zeichnend empfand, auch noch geschmeidiger in die rhythmischen Strukturen gehend. Vermutlich wird das in unterschiedlichen Anlagen- und Aufstellungskonfigurationen jeweils anders sein. Die Marineholz-Platten des Deco gibt es übrigens auf Wunsch auch mit schwarz statt transparent lackierten Seiten. Ich finde allerdings, dass sein "Art Deco"-Charakter (daher stammt der Name) gerade durch die sichtbare Holzstruktur besonderen Charme gewinnt. Ein Augenmerk sollte man auch auf die schwarz-grauen Oberflächen der Basisplatten lenken. Ihre zehnfache Lackierung sieht nicht nur wunderschön aus und zeugt für mein Empfinden von einem entspannten ästhetischen Feinsinn. Die vielen Schichten härten auch die Oberflächen und sollen deutlich in die klangliche Abstimmung eingegangen sein, ähnlich dem klassischen Klavierlack.
Ich muss gestehen, dass ich den Deco noch während des Aufbaus (dabei unbedingt die Reihenfolge der Bedienungsanleitung penibel befolgen!) unterschätzte. Würde das mit dem Subchassis wirklich so gut klappen? Und mit dem Anna Arm, der die Hälfte meiner anderen Tonarm-Favoriten kostet? Sicher, vom Dais war ich schon sehr begeistert und es stand zu vermuten, dass das x-fach teurere Toplaufwerk nicht unbedingt eine Krücke sein würde. Aber musste ich nicht unbedingt den fantastischen Brinkmann 12.1 Tonarm auf die zweite Armbasis montieren, um den Deco armseitig möglicherweise nicht zu benachteiligen? Eine Wechselbasis mit passenden Bohrungen stand dafür jedoch nicht rasch zur Verfügung. Zwar hatte mir Nottinghams Ace Space Arm schon früher bewiesen, dass ein Karbonfiber-Arm nicht notwendigerweise die zwar angenehme, aber partiell softende Klangsignatur anderer Karbon-Arme aufweisen müsse. Und auf dem Deco saß der frisch aktualisierte Anna, mit neuer, gehärteter Rundung seines Einpunktlagers und vier neuen seitlichen Gummiführungen. Sowieso überragend gelöst bei den Nottingham-Armen ist die Möglichkeit der Azimuth-Einstellung durch minimales Verdrehen der Headshell. Jede einzelne wird dafür bei der Fertigung solange an das Armrohr feinangepasst, bis es bei gleichzeitigem ganz straffen mechanischen Sitz sich gerade noch gut verdrehen lässt. Auf diese Art ist die so wichtige Senkrechtstellung der Nadel in der Rille optimal justierbar. Trotz allem – den Eindruck, dem Deco ohne zweiten Arm nicht die volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, hatte ich weiterhin. Zumal ein Brinkmann EMT ti zur besseren Vergleichbarkeit in den Anna kam, da ein zweites und praktisch identisch klingendes Exemplar dieses Top-Abtasters im Brinkmann 12.1 Arm auf dem LaGrange sein musikalisches Werk verrichtete.
Doch dann kam die Stunde des Deco. Hatte ich den Einsatz und das Nachschwingen des Drumsets zu Beginn von Robert Wyatts Liebeslied "Just As You Are" (von "Comicopera", Domino) jemals so unvermittelt, so klar und voller Feingefühl gehört? Bestimmt nicht so sehr, dass bereits die ersten Töne alle Tiefe und Zartheit des Songs vorwegnahmen. Dann, am anderen Ende der Lautstärkeskala, "Temecula Sunrise" ("Bitte Orca", Domino) von den unbeschreiblichen Dirty Projectors, neben Grizzly Bears "Veckatimest" und den XX derzeit mein Lieblings-Pop-Album des Jahres: Unglaublich, mit welch unbarmherzigem, livehaftigem Nachdruck hier der E-Bass in den Raum drückt, dabei das ganze rockig-groovige instrumentale Kuddelmuddel völlig stabil und übersichtlich bleibt. Völlig faszinierend, wie auch "Stillness Is The Move" als mitreißendes Energie-Paket ankommt und alles, was vorher eine Kleinigkeit zu angestrengt aufgenommen klang, sich jetzt in kraftvolle Klanglust verwandelt. He, und dieser tiefe E-Bass, was hat der hier nicht wieder für einen neuen, tollen Sound, wie mit einem Weinfass gekreuzt. Und im Schlepptau all der überbordend vielfältig wirkenden instrumentalen Details schwingt geradezu ein Kosmos an Mikro-Informationen zu Raum und den die Instrumente und Stimmen umgebenden Klangfeldern mit. So wird man nicht allein von der schieren Energie mitgerissen, man wähnt sich mitten dabei während die Musik entsteht. Außer Mal um Mal eine Schicht näher an der vorderen Abbildungsebene zu sein, scheint einen der Deco auch energetisch so gut anzuschließen, dass ein kleiner, doch entscheidender Perspektivwechsel entsteht – weg von der Beobachter-Position, hin zum unmnittelbar Involvierten.
In den ersten Tagen hatte ich diese Hörerfahrungen noch nicht recht sortiert. Sicher waren viele der klassischen audiophilen Einzelphänomene zwar unerhört realistisch, direkt und oft unfassbar nuancenreich wiedergegeben. Und bei allem, was mit Rhythmus und Vortrieb zu tun hat, dem ganzen inneren Swing, zu dem eine Komponente fähig ist oder nicht, hatte ich den Eindruck, gar nichts mehr beschreiben zu können, so livehaftig spielte der Deco. Doch wohl jeder musste schon die high-endige Erfahrung machen, dass eine Ansammlung besonders gelungener Aspekte noch kein insgesamt herausragendes Gerät macht. Ganz anders hier. Dem Deco hilft ja sicherlich, dass er völlig ausgewogen spielt, Einzeldisziplinen also nicht zuungunsten anderer glänzen. Aber was ist es im Kern, das den Eindruck des komplett Richtigen verschmelzen lässt mit dieser unbändigen, alles highfidele Gekasper vergessen machenden Spielfreude? Zudem sinnierte noch darüber, dass das Brinkmann EMT ti an der Deco-Anna-Kombi sein letztes kleines Stück Burschikosität aufgab, nachdem Helmut Brinkmann sie ihm schon weitestgehend ausgetrieben hatte. Im Deco klingt es noch ausgewogener, freier, farbenfroher, es verschwindet, im besten Sinn. Auf die Spur des Deco-Geheimnisses brachten mich letztlich einige Alben.
"Art Forms Of Dimensions Tomorrow" von Sun Ra und seinem Solar Arkestra (Saturn Records) aus dem Jahr 1965 ist ein herrlicher roher Brocken von frühem Space Jazz. Auf dem Deco gespielt hat mich seine schiere klangliche Energie fast aus dem Sofa gekegelt. Ob Thunder oder Dragon Drums, ein Piano Solo Sun Ras, der kräftige Gruppensound auf "Ankh", dieses Album hat eine gewaltige dynamische Kraft, über die man völlig vergisst, dass Verfärbungsfreiheit bei den Aufnahmen keine dringliche Rolle gespielt hat. Dennoch wirken sie dank der in jeder Frequenzlage gleichmäßig rausgehauenen Energie äußerst livehaftig. Ebenso überraschend wie überzeugend die Wiedererweckung sämtlicher Rock'n'Roll-Geister auf dem aktuellen Album von Sonic Youth, "The Eternal". Der Deco schürt hier eine streckenweise gnadenlos lodernde Feuerwand, ohne jemals zu Schwächeln oder auch nur angestrengt zu wirken. So strengt es einen selbst ebensowenig an, reißt mit, verlangt nach höheren Pegeln. Hier zeigte sich ein interessantes Phänomen: Subjektiv wirkte das Album lauter als etwa mit dem LaGrange und dem gleichen Setup gespielt, objektiv waren die Lautstärken, mit einem Pegelmesser nachvollzogen, identisch.
Wie sehr der Deco die energetischen Binnenverhältnisse der Aufnahmen bewahrt, nicht zulässt, dass Leises von Lautem verschüttet wird, feine Linien von markanten, zeigte sich mir endgültig bei Beethovens letzten drei Klaviersonaten. Mir war es immer ein Rätsel, wie der große Pianist Wilhelm Backhaus auf der London FFSS Aufnahme von 1961 mit fulminanter Verve über alles Delikate speziell der Sonate 109 hinwegging. Wo waren die leisen, lyrischen Momente im Adagio, warum überging er sie bei einem fundamentalen Werk der Klaviergeschichte durch sein stetes Vorantreiben so vermeintlich nachlässig. Doch der Deco legt plötzlich eine Schicht frei, die ich nie zuvor gehört hatte: Auf einmal treten subtil Eleganz und "Swing" in seinem Spiel hervor, eine fast tänzelnde Bewegung im Fluss, die dieser Sonate die Tiefe gibt, mit der Beethoven Seelenzustände darstellen wollte. Zu hören ist dies sowohl auf der alten London- wie auf der neuen Pressung von Super Analogue Disc. Damit wirkt für mich jetzt in Umkehrung voriger Verhältnisse sogar Claudio Arrau in seiner technischen Brillanz kühler als Backhaus. Wie ernst es der Deco mit dem Erhalt der ursprünglichen Energie meint, zeigte er auch bei den alten Solomon-Aufnahmen (EMI, 6LP-Box). Zwar klingt der Flügel hier weiterhin so entfernt und muffig wie die Aufnahmen damals waren. Aber neben den lyrischen Tiefen lässt er hier doch noch eine kraftvolle Präsenz hören, was einem Solomons Ausnahmestellung unter Fans erst einsichtig werden lässt. Ein Indiz für den absoluten High-End-Gipfel, wenn es Geräten gelingt, auch aus den technisch schwächsten Aufnahmen noch durch sieben Vorhänge hindurch einen Live-Eindruck und echte musikalische Magie zu extrahieren.
Während sich Mauricio Pollini und dann Kendall Taylor an die Sonate 109 machen, denke ich, dass bei Anlagen, die ihrerseits die Abbildung nicht so extrem "masterbandig" nach vorne öffnen können und die dynamische Spannweite nicht auffächern wie der Deco, der Unterschied zu einem Brinkmann LaGrange auf Anhieb kaum so auffallen wird wie beschrieben, denn der Deco drängt sich nicht mit kurzlebigen Effekten in den Vordergrund. Zumal der klangfarbliche Unterschied zwischen den beiden recht gering ausfällt: Der Deco liegt etwa zwischen den beiden Netzteil-Optionen des LaGrange, nimmt die Rasanz und Attacke der Transistor-Variante mit und verbindet sie mit der durchsichtigeren Zeichnung und dem besseren Micro-Timing – gut hörbar beim Zusammenspiel kleiner Besetzungen – des Röhrennetzteils RöNt. Pollini (Deutsche Grammophon, 3LP, engl. Pressung) war mittlerweile impulsiver zwischen heftigen Gefühlsausbrüchen und innerer Einkehr hin- und hergerissen, Taylor (Meridian Records) dagegen zeichnete nur eine Stimmungserzählung, in der man von einem Ereignis zum nächsten geworfen wird, ohne echte innere Dramaturgie.
Wieder verdeutlichte der Deco überraschend klarer als ich es früher gehört hatte, den interpretatorischen Klassenunterschied zwischen beiden Pianisten, hob für mich Pollini für den Moment recht deutlich über die anderen mir bekannten Interpreten der letzten Klaviersonaten Beethovens heraus. Und mit einem Mal war mir klar, warum der große Nottingham-Spieler – inzwischen verstehe ich das "große" nicht mehr nur als den größten im Nottingham-Produktkatalog, sondern als Auszeichnung wie bei einem großen Interpreten – warum der Deco also derart herausragt. Ich war ja schon mehrfach mit der Nase drauf, hatte es aber im ganzen Umfang nicht verstanden: Er ist wohl der erste Spieler, den ich höre, der die dynamische Integrität der Töne als Gesamtheit völlig intakt lässt. Von den leisesten – hier ist er ein extrem sensibler Klangfischer – bis zu den lautesten, die er von jeder Pegelanforderung ungerührt in aller Massivität transportiert. Kein Lautstärke- oder Frequenzbereich, der abfällt oder sich ungebührlich nach vorne drängelt. Diese 1:1-Behandlung sämtlicher dynamischer Verhältnisse ist es, die Musik derart in Bewegung, in den Fluss bringt. Sie ist es, die geradezu einen Überfluss an klanglichen Informationen zu Tage fördert. Und einen so an die Musik anschließt, als sei man Ohrenzeuge bei ihrer Entstehung vor Ort.
Tom Fletcher hat sich bei seinen Plattenspielern immer sehr erfolgreich auf das Wesentliche beschränkt. Nach vierzigjähriger Entwicklungstätigkeit ist ihm mit dem Deco etwas gelungen, was man nicht erwarten kann: Ein Plattenspieler, den ich im Wesentlichen für komplett richtig halte, eine einzigartige Musikmaschine. Ein Standard. ... und ich fühle meine private Verzichtsmoral schon ganz stark schwinden, gewisse Triebe melden sich heftig, es sind nicht sexuelle. Obwohl, liebe Hirnforscher unter den Lesern, hat besonders intensives, lustbetontes Hören nicht auch damit eine Menge zu tun?
Laufwerk Nottingham Analogue Deco
Prinzip: riemengetriebenes Masselaufwerk
Besonderheiten: zweite, definiert entkoppelnde Basisplatte im Lieferumfang; Laufwerk vorbereitet für den Betrieb mit 2 Tonarmen, VTA beider Tonarmbasen während des Spielens verstellbar
Maße (B/H/T): ca. 48/32/40 cm
Gewicht: ca. 48 kg
Preis: 27000 Euro
Kontakt:
www.envogue-24.de